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Archiv-Artikel

IN DEN USA DROHT DER WILLE DER WÄHLER AUF DER STRECKE ZU BLEIBEN Kampf um die Hegemonie

US-Präsident George W. Bush will aus der Defensive heraus – und die Nominierung des konservativen Richters Samuel Alito für den frei werdenden Sitz im Obersten Gerichtshof der USA an einem Montagmorgen um acht Uhr ist die Möglichkeit der Wahl. Ein monatelanger Kampf mit den Demokraten um die Bestätigung des politischen Wunschkandidaten der christlich-konservativen Basis liegt dem Präsidenten allemal besser als die weitere Selbstzerfleischung der Republikaner.

Kein Wort verlor Bush gestern über seine ursprüngliche Wunschkandidatin Harriet Miers, aber aus jeder Silbe seiner kurzen Ansprache schien ein „Seid ihr jetzt zufrieden?“ mitzuklingen. Wenn Bush etwa die große Erfahrung Alitos lobte oder seine „Prinzipienfestigkeit“, dann pries er damit alles, wofür Miers eben nicht stand.

Die Demokraten im US-Kongress, die sich in den letzten Wochen zurückgelehnt das Schauspiel des politischen Gegners angesehen haben, sind jetzt zum Eingreifen aufgefordert. Mit Alitos Nominierung hat der Kampf begonnen, auf den sich beide Seiten seit Jahren vorbereiten – die Frage nämlich, ob die Mehrheitsverhältnisse im Obersten Gerichtshof sich so verändern lassen, dass wesentliche Grundrechte, allen voran das Recht auf Abtreibung, wieder zurückgedrängt werden können. Für beide Seiten geht es in diesem Kampf um Leben oder Sterben: Schaffen es die Demokraten nicht, mit einheitlichem Auftreten der Rechten die Stirn zu bieten, werden sie für ihre eigene Basis zum Kasperle. Schafft es die Rechte nicht, ihren Kandidaten durchzubringen, wäre das nicht nur eine Schlappe für Bush, sondern auch für die Träume der konservativen Hegemonie.

Wann, wenn nicht mit einer soliden Mehrheit in beiden Kammern und einer mobilisierten rechten Basis, sollte die jahrzehntelange liberale Vorherrschaft am Obersten Gericht gebrochen werden, um weit über Bushs Amtszeit hinaus die Gesellschaft zu verändern? In diesem Kampf werden sich beide Seiten nichts schenken. Der Wille der Bürger, die mehrheitlich liberaler denken, als sie wählen, könnte auf der Strecke bleiben. BERND PICKERT