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Archiv-Artikel

IN DEM ANGEBLICHEN VW-SKANDAL ZEIGT SICH DIE KLASSENGESELLSCHAFT Betriebsrat darf nicht Manager spielen

Unfreiwillige Rücktritte lassen stets vermuten, dass sich ein Skandal ereigne. Bei VW häufen sich derzeit die Abschiede: Erst gab Betriebsratschef Klaus Volkert auf, nun hat Personalvorstand Peter Hartz sein Amt zur Verfügung gestellt. Morgen entscheidet der Aufsichtsrat, ob er dieses Angebot annimmt. Doch worin genau besteht der Skandal?

Die Antwort ist nicht offensichtlich, weil sich der Skandal inzwischen verlagert hat. Zunächst schien Volkert in eine Betrugsaffäre verwickelt. Doch die harten Fakten sind bisher unergiebig. Zwar war er an einer obskuren Firma beteiligt, die eine VW-Autostadt in Prag bauen wollte. Allerdings kam es nie zu dem Projekt, Geld ist nicht geflossen und die Firma längst aufgelöst. Die Staatsanwaltschaft hat bisher nicht bekannt gegeben, dass sie gegen Volkert ermittle. Doch inzwischen geht es sowieso nicht mehr um Crime, sondern um Sex.

Volkert und andere Betriebsratsmitglieder sollen sich auf ihren Dienstreisen durch den Weltkonzern mit Animierdamen vergnügt haben. Es ist bisher unklar, ob Peter Hartz davon wusste – oder ob er die Lustbarkeiten nur indirekt geduldet hat, weil sich der Betriebsrat Eigenbelege ausstellen durfte. Aber was macht den eventuellen Sex nun zum Skandal? Drei Vorwürfe scheinen zu schwelen.

Die erste Skandaltheorie: Der Betriebsrat hat sich von der Konzernleitung kaufen lassen. Diese Anschuldigung überzeugt nicht besonders. Denn ein Betriebsrat muss sich wählen lassen, daher kann er die Mitarbeiter nicht durch ungünstige Kompromisse vergrätzen. Auch objektiv scheinen die VW-Arbeiter profitiert zu haben – für die Zukunft werden zahlreiche Kürzungen angedroht.

Bleibt die zweite Skandaltheorie: Die Betriebsräte haben dem Unternehmen geschadet, indem sie ihr Privatvergnügen über die Firmenkasse abrechnen ließen. Da wären sie jedoch nicht die Einzigen: Niemand würde bestreiten, dass sich auch viele Manager eine Begleitung auf Dienstreisen organisieren.

Das führt zur dritten Skandaltheorie: Betriebsräte dürfen sich nicht wie Manager verhalten. Von denen ist man Schlechtes gewohnt, wie die anhaltende Debatte über ihre Gehälter zeigt. Aber Betriebsräte! Die müssen tadellos sein, schließlich hat man sie gewählt. Diesen moralischen Höchstleistungsanspruch hat auch schon Kanzler Schröder erfahren müssen: Bei der SPD-Klientel kam es gar nicht gut an, als er sich plötzlich im Brioni-Anzug mit Cohiba-Zigarre ablichten ließ. So zeigt sich Klassengesellschaft: Für Manager gelten andere Regeln als für Volksvertreter. ULRIKE HERRMANN