IMMER HERAUS MIT DEN PRIVATESTEN GESCHICHTEN! : Politik und Elternschaft
VON OPHELIA ABELER
Wahlkampf in Amerika heißt: Hosen herunterlassen. Aber kontrolliert. Immer heraus mit den privatesten Geschichten! Der Vater ein Alkoholiker und Selbstmörder, die Familie zerrüttet, die Frau noch bis kurz vor der Eheschließung lesbisch? Ideal! Zumindest im Fall von Bill de Blasio, der gerade mit 73 Prozent der Wählerstimmern zum neuen Bürgermeister New Yorks gewählt wurde und genau das in seinen Wahlwerbespots ausgespielt hat, womit die konservative Presse ihn eigentlich fertigmachen wollte.
Schwieriger wurde es, als der Besuch bei den Sandinisten in Nicaragua und der Honeymoon in Kuba rauskamen, da war die Kontrolle kurz weg. Mit Offenheit und selbstbewusstem Stolz auf die Vergangenheit als Aktivist konnte de Blasio dies aber wettmachen, anders als sein auf der Strecke gebliebener Konkurrent Anthony Weiner – man kann wohl schlecht behaupten, auf virtuelle Sexkontakte stolz zu sein, schon gar nicht, wenn die umwerfend schöne Ehefrau Assistentin von Hillary Clinton ist und das gemeinsame Kind noch keine zwei Jahre alt. Ach, die Familie!
Es gehört einfach dazu, die Familie vor die Kamera zu schubsen und Werbung für sich machen zu lassen. Auch Bloomberg, der geschieden ist und dessen Töchter schon aus dem Haus sind, wollte nicht nur der Parkplatzwächter sein, der es zum Wallstreetmilliardär und Medienmogul gebracht hat, um dann mit Charity-Miene in die Politik zu gehen. Auf keinen Fall durfte man denken, dieser Mensch hat keine Familie – was wäre das dann für ein Mensch! Drei Jahre arbeitete eine Tochter in seinem Wahlkampfteam.
Glaubt man Michelle Obamas seitenlangen Briefen an alle Haushalte, in denen es nahezu ausschließlich um ihren tollen Welterklärervater geht: Eltern gehabt zu haben ist allein schon eine Qualifikation für alle politischen Ämter. Selber Eltern zu sein erst recht.
Aber Bill de Blasios Familie ist etwas Besonderes, ein Powertool, wie speziell Bloomberg schmerzlich erfahren musste. Bill de Blasio ist weiß – und seine Frau und seine Kinder sind schwarz. Da sah man also diesen 16-jährigen Jungen mit dem riesigen Afro im Fernsehen, wie er von diesem super Typen erzählte, den er kennt und der endlich wieder für soziale Gerechtigkeit, gute Schulen, bezahlbaren Wohnraum und das Ende von rassistisch motiviertem Stop and Frisk sorgen werde, und das sage er nicht nur, weil es sich bei dem Mann um, Cut, Bill de Blasio legt dem Jungen mit dem Afro einen Arm um die Schultern, seinen Vater handelt.
De Blasios Umfragewerte stiegen nach Lancierung dieser Spots derart an, Bürgermeister Bloomberg sah sich genötigt, ihm Rassismus zu unterstellen. In dem „Ihr wisst schon, wie ich das meine“-Sinn, denn natürlich sei de Blasio kein Rassist, aber Kalkül stecke dahinter, seine schwarze Familie so zu präsentieren, ja, zu benutzen.
Das klingt nun tatsächlich rassistisch, wie vieles, was Bloomberg so von sich gegeben hat, aber diesmal gab es jemanden, der im Fernsehen eine direkte Antwort darauf hatte. Chiara de Blasio, die 18-jährige Tochter, die in diesem Jahr das erste Mal wählen durfte, erklärte, sie werbe sehr wohl freiwillig und aus Überzeugung für ihren Vater und fügte ein ironisches „Thank you“ an Bloomberg hinzu.
Der schwierigste Teil wird nun, die unter Bloomberg um 69 Prozent auf 60.000 Menschen angestiegene Zahl der Obdachlosen zu versorgen, das eine Prozent, das seit Occupy in aller Munde ist, finanziell zur Verantwortung zu ziehen, wofür de Blasio nur die Stadtsteuer zur Verfügung steht – und die Polizei umzustrukturieren, denn da sitzt der Rassismus tief. Selten werden bei den willkürlich herausgepickten und durchsuchten Schwarzen oder Latinos Waffen oder Drogen gefunden, bei Weißen hingegen häufiger. Woran das liegt? Weiße werden kaum „nur so“ angehalten, sondern dann, wenn ein konkreter Verdacht besteht. Dem geht voraus, dass die Polizei ihre Arbeit gemacht hat. Stop and Frisk hat also weniger mit der Verbrechensprävention zu tun, als Bloomberg behauptet, sondern viel mehr mit der Lebensqualität der Minderheiten in New York.
■ Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York