IM FRANZÖSISCHEN PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLKAMPF REGIERT DIE ANGST : Das Syndrom des 21. April
Der Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich, der jetzt in den Endspurt geht, wird von zwei Motiven beherrscht: Frauenfeindlichkeit und Angst.
Es gäbe sicher viele Gründe, um Ségolène Royal zu kritisieren. Mit „Inkompetenz“, „Unsicherheit“, „Autoritarismus“ oder mit „Schönheit“ und “eleganter Kleidung“ hat keiner davon etwas zu tun. Gerade solche Argumente aber haben die Gegner von Royal in den Vordergrund geschoben. Durch die monatelange Wiederholung ihrer persönlichen Anfeindungen haben sie Royals Position nachhaltig geschwächt – und das paradoxerweise, ohne jede politische Auseinandersetzung einzugehen. Die sexistische Qualität der Anfechtungen sagt nichts über die Kandidatin Royal. Sie zeigt hingegen, dass die politische und mediale Klasse Frankreichs noch Lichtjahre davon entfernt ist, Frauen in der Politik gleichzubehandeln.
Das zweite Leitmotiv hat mit dem 21. April 2002 zu tun, dem Stichtag der vergangenen Präsidentschaftswahl. Die Mehrheit der Franzosen hat panische Angst, dass Jean-Marie Le Pen zu einem neuerlichen Triumphzug starten könnte. Sie wissen, dass die Gründe unverändert fortbestehen, die damals zu seinem Erfolg geführt haben. Darum schauen viele Wähler weniger auf das Programm ihrer Kandidaten als auf deren potenzielle Stärke an der Urne. Die Französinnen und Franzosen wollen „nützlich“ wählen, um den Rechtsextremen nicht erneut erstarken zu lassen.
Die großen Parteien haben sich vor einer politischen – und selbstkritischen – Auseinandersetzung mit dem Desaster vom 21. April gedrückt. Ihr Umgang mit der rechtsextremen Herausforderung ist vor allem taktischer Natur. Royal hat eine etwas breitere Allianz mit kleinen linken Gruppen geschmiedet als ihr gescheiterter Vorgänger Jospin; der rechte Nicolas Sarkozy hat mehrere Slogans der Rechtsextremen in sein Programm aufgenommen. Letztlich aber hat das „Syndrom des 21. April“ nicht nur zu einer Schwächung der kleineren Parteien, sondern vor allem zu einer Verarmung der politischen Debatte geführt.
Früher stritt man in Frankreich vor Präsidentschaftswahlen über Politik und Wirtschaftsalternativen. Heute hat man Angst. DOROTHEA HAHN