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Archiv-Artikel

IM FALL EL MASRI LIESSEN STAATSANWÄLTE JOURNALISTEN ABHÖREN Ein verdoppelter Skandal

Oft ist es hilfreich, wenn das Verfassungsgericht eine Klage nicht sofort entscheidet. Manchmal kommen erst im Laufe der Zeit wichtige Informationen ans Licht. So auch im Fall der Verfassungsbeschwerde des Ulmer Rechtsanwalts Manfred Gnjidic. Er hatte im Juni erfahren, dass seine Telefone monatelang abgehört wurden, um auf die Spur der Entführer des Deutschlibanesen Khaled El Masri zu kommen. Erst jetzt wurde deutlich, dass sich die Staatsanwälte vor allem für die Pressekontakte Gnjidics interessierten.

Schon die Abhöraktion an sich war ein Skandal. Die Ermittler taten so, als sei das Kanzleitelefon ein beliebiger Anschluss, von dem aus auch Nachrichten für El Masri entgegengenommen werden. Dass Anwalt Gnjidic hier aber auch mit El Masri selbst und hunderten anderen Mandanten telefoniert, hätte eigentlich eine monatelange Abhöraktion ins Blaue hinein ausgeschlossen. Wenn die Staatsanwälte zudem fast nur Gespräche mit Medienvertretern protokolliert haben – dann liegt der Verdacht nahe, dass die Aktion von Beginn an den Journalisten galt, die regelmäßig mit Anwalt Gnjidic ihre Rechercheergebnisse diskutierten.

Doch wozu diese Abhörmaßnahmen? Journalisten veröffentliche schließlich ihre Erkenntnisse, und zwar schnellstmöglich, bevor die Konkurrenz die Neuigkeiten wegschnappt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Münchener Staatsanwälte, die im Fall El Masri bisher eher schläfrig agierten, nicht auf die neueste Ausgabe des Stern oder die nächste „Frontal 21“-Sendung warten wollten.

Zu befürchten ist eher, dass die Staatsanwälte im Auftrag deutscher Sicherheitsbehörden agierten. Diese könnte brennend interessiert haben, was Journalisten über ihre Verwicklung in die Entführung von El Masri herausgefunden haben – um so rechtzeitig vor der Publikation ihre Spuren verwischen zu können. In dem an Ungeheuerlichkeiten nicht armen Entführungsfall wäre das nur eine neue erschütternde Wendung. Das Bundesverfassungsgericht wird gut daran tun, die Aufklärung der Affäre noch eine Weile zu beobachten.

CHRISTIAN RATH