piwik no script img

Archiv-Artikel

IM BERLINER AL-QAIDA-PROZESS HALFEN DER JUSTIZ NUR NOTNÄGEL Böse Gedanken – harte Strafe

Auch wenn es so aussieht: Der Tunesier Ihsan Garnaoui wurde gestern nicht vom Vorwurf des Terrorismus freigesprochen. Das Gegenteil ist richtig. Weil das Berliner Kammergericht ihn offensichtlich für einen potenziellen Terroristen hielt, fiel die Strafe – drei Jahre und neun Monate Haft – für unerlaubten Waffenbesitz und illegalen Aufenthalt äußerst hart aus.

Das Gericht treibt einen Grundgedanken des Paragrafen 129a Strafgesetzbuch weiter, ohne das Gesetz direkt anwenden zu können. Danach ist schon die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung strafbar – selbst wenn noch nichts passiert ist. Strafbarkeit im Vorfeld wird das genannt. So wollte der Gesetzgeber der Siebzigerjahre gerade jene Fälle erfassen, bei denen die eigentliche Tatbeteiligung an einem Anschlag schwer zu beweisen ist. Und dabei vor allem Ermittlungen in extremistischen Milieus erleichtern. Ist eine Mittäterschaft etwa an einem tödlichen Anschlag dann doch erwiesen, entfällt oft der Vorwurf nach Paragraf 129a. Mord ist ohnehin das schwerere Delikt.

Was aber den fest verbundenen RAF-Terroristen noch nachzuweisen war, ist bei Islamisten ungemein schwieriger. Al-Qaida ist ein loses Netzwerk. Die Akteure finden sich ad hoc für einen Anschlag zusammen. Hier passt Paragraf 129a nicht. Und wenn die Polizei dann noch frühzeitig zugreift, „damit nicht erst Tote auf den Straßen liegen“, dann werden die Beweisprobleme noch größer. Kein Wunder, dass die Bundesanwaltschaft Garnaoui weder den Versuch der Gründung einer terroristischen Vereinigung noch den Versuch eines konkreten Anschlages beweisen konnte.

Die martialische Bestrafung von Randvergehen ist da nur ein Notnagel. Aber er trifft hier – so weit reicht die Beweislage – wohl nicht den Falschen. Ihsan Garnaoui war kein harmloser Muslim. Aber es bleibt ein Unbehagen. Auch weil – zu Recht – Terrorfantasien und -pläne im Kopf eines Einzelnen nicht strafbar sein dürfen. Sie können allenfalls ausländerrechtliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr wie die Ausweisung des Verdächtigen rechtfertigen. CHRISTIAN RATH