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Archiv-Artikel

ICH WÜRDE GERNE MAL MIT EINEM KNAPPEN DES DEUTSCHEN BRAUCHTUMS REDEN UND IHN FRAGEN, WELCHE TRADITIONEN ER DENN PFLEGT Immer dieses Deutschsein

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

In Buxtehude wird für die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde eine Moschee gebaut. Das sollte eigentlich kein Aufreger sein, ist es aber doch, für die, die gegen alle sind, die nicht so sind wie sie. Also vor allem nicht deutsch. Deutschsein ist was, was mit Geburt und Familie zu tun hat. Obwohl, man will da besser nicht so genau sein, denn wenn man genau wird, dann kommt vielleicht ein Teil der Großeltern aus Polen oder aus Belgien oder die Urgroßmutter ist aus dem nördlichen Italien gekommen. Besser nicht so genau sein, sonst verliert man noch sein Deutschsein.

Dann gehört dazu noch irgendwie das Christentum. Die Traditionen, die Wurzeln. Das ist auch das Hauptanliegen der erfolgreichen Band Frei.Wild. Dass die Menschen ihre Wurzeln bewahren, indem sie ihre Traditionen und ihr Brauchtum pflegen, weil sie sonst nichts sind, jedenfalls nicht richtig deutsch. Ich würde gerne mal einen von den Jungen und Mädels, die deren Lieder mitsingen, fragen, ob sie mir wenigstens ein deutsches Brauchtum nennen können, das sie zu Hause pflegen.

Die Moslems in Buxtehude jedenfalls wollen gerne eine Moschee bauen, weil sie in einer Wohnung keinen Platz mehr haben. Der Buxtehuder Bürgermeister und die meisten Ratsleute sind dafür, auch wenn sie von Anonymen bedroht werden. Die Drohenden sind gerne anonym, man kann ihnen zurückdrohen, weil man sie ja nicht kennt. Aber im Grunde kennt man sie doch. Man sieht sie auf der Straße mit ihren hübsch bestickten Hemden von Camp David, sie nennen sich in Kommentarspalten „ein Steuerzahler“ und sie reden immer vom „armen Deutschland“.

Ich würde gerne mal mit so einem Knappen des deutschen Brauchtums reden, und, nachdem ich ihn nach seinen persönlich gepflegten Traditionen in seinem deutschen Heim befragt hätte, würde ich ihn weiter fragen, warum er meint, dass durch den Bau einer Moschee unserem Vaterland etwas abgeht. Denn die Muslime waren in Buxtehude schon vor dem Bau der Moschee da, nur eben im Wohnzimmer. Zukünftig sind sie in der Moschee und haben es etwas bequemer. Sie mögen Moscheen, weil sie zu ihrer muslimischen Tradition gehören und die Pflege dieser Tradition ist das, was einem Menschen hilft, seine Wurzeln zu behalten, was ja was Gutes sein soll, wie man hört. Aber nur, wenn die Wurzeln auch gut sind und die Wurzeln der Muslime sind in den Augen mancher viel schlechter als die ihrigen, denn der Islam ist gefährlich und darauf aus, uns alle zu beherrschen (es ist historisch belegt, dass das Christentum solche Pläne nie gehegt hat).

Ich persönlich halte nicht viel von Religionen und gesellschaftlichen Traditionen, ich habe da ein tiefes Misstrauen, denn je mehr sich der Mensch in alten Mustern ordnet, um so weniger denkt er und hinterfragt und gestaltet. Ich gestehe dem Menschen schon ein Maß an Sehnsucht nach dem Vertrauten (Verlässlichkeit) zu, aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen, wir leben im Umbruch, die Welt ordnet sich neu, ein Deutschsein spielt keine Rolle mehr, da können sie noch so wüten, das hat keinen Wert und macht auch keinen Sinn mehr.

Mich interessiert ein Mensch. Mich interessiert kein Volk. Mich interessiert ein Mensch mit Charakter und Schönheit und Würde, mit Mut und Intelligenz, mit Humor und Leidenschaft, mir ist es egal, wo er geboren ist und woher er kommt. Er soll mir gefallen. Ich will ein Land mit solchen Menschen, das wäre dann mein Land, das wäre mein Volk. Aber hier ist es leider so, dass eine Menge Leute rumrennen, die haben nichts davon, nur ihren Volkswagen und ihre Angst, jemand könne ihnen was wegnehmen. Immerhin, in Buxtehude sind sie so frei, lassen Menschen anderer Religion eine Moschee bauen und lassen sich nicht einschüchtern. Man muss sehen, dass man sich an dem Wenigen freut. Irgendwo blüht noch immer ein Blümchen der Vernunft.Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen