piwik no script img

I N T E R V I E W"Die Kirchturmpolitik funktioniert nicht länger"

■ Kommunalverbund Niedersachsen/Bremen plant gemeinsame Gewerbe- und Wohngebiete im Bremer Umland

Vor neun Monaten wurde der vor Jahren eingeschlafene „Kommunalverbund Niedersachsen/Bremen“ neu gegründet. Vorsitzender ist Achims Stadtdirektor Wilhelm Petri.

taz: Der Kommunalverbund Niedersachsen/Bremen existiert seit neun Monaten. Haben Sie schon den ersten Streit schlichten können?

Dr. Wilhelm Petri: Das erstaunliche ist, daß wir bisher keinerlei Streit gehabt haben. Der Problemdruck ist bei allen Beteiligten in der Region so groß, daß sie zu unser aller Überraschung immer mit konstruktiven Lösungsvorschlägen in die Diskussion gegangen sind. Und es wurde auch schon eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen erarbeitet, um die in Jahren aufgestauten Probleme aus der Welt zu schaffen.

Wenn es bisher noch keinen Streit gegeben hat, dann kann das doch nur bedeuten, daß Sie die heißen Themen noch gar nicht angepackt haben.

Alle Beteiligten sehen es so, daß es nach wie vor ein Wettbewerbsverhältnis geben wird — übrigens auch zwischen den niedersächsischen Gemeinden untereinander.

Eines der größten Probleme ist sicher die Konkurrenz um Gewerbeansiedlungen. Zeigen sich da Möglichkeiten einer Zusammenarbeit?

Wir haben bei der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe Wirtschaft den einstimmigen Beschluß gefaßt, ein Gewerbekataster einzurichten, in das alle vorhandenen Flächen der Region und ihre Verkaufspreise eingespeist werden. Unser langfristiges Ziel ist es, einheitliche Preise und Bedingungen anzubieten.

Dafür müßte aber der Flächenpreis im Bremer Umland enorm steigen — oder in Bremen enorm sinken.

Man muß natürlich sehen, daß hier Marktmechanismen nicht außer Kraft gesetzt werden. Wenn ich vom gleichen Preis spreche, dann meine ich natürlich den gleichen Preis für die gleiche Lage. Wir können kein Gebiet in Stuhr oder Achim mit einem Grundstück in der bebauten Ortslage in Bremen vergleichen. Aber unser erklärtes Ziel ist es, auf der grünen Wiese links und rechts der Landesgrenze die selben Preise zu nehmen.

Und da gibt es tatsächlich eine Bereitschaft der Umlandgemeinden, die bisher mit Dumpingpreisen Gewerbe knapp über die Landesgrenze locken?

Die Dumpingpreise lassen wir einmal dahingestellt. Das Übrige wird sich zeigen. Die Gemeinden, die in der Arbeitsgruppe vertreten waren, haben das jedenfalls einstimmig befürwortet. Die Nagelprobe wird aber erst noch zu machen sein.

Bremens neuer Wirtschaftssenator Claus Jäger hat hier kürzlich die richtige Richtung vorgegeben. Er hat betont, daß es unter dem Strich relativ egal ist, ob ein Unternehmen XY sich in Bremen oder in Oyten ansiedelt. Wichtig ist, daß das Geld, das dort verdient wird, in der Region wieder ausgegeben wird. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß der Gewerbesteueranteil an der Gesamtwertschöpfung durch Betriebe relativ gering ist.

Zweites Beispiel: Wohnungspolitik. Sind Bremer Wohngebiete auch jenseits der Landesgrenzedenkbar?

Es gibt in der Bundesrepublik durchaus Fälle, in denen mit Wohnungsbaumitteln eines Partners auf dem Gebiet eines anderen Partners Wohnungen gebaut werden mit der Folge, daß derjenige, der die Mittel eingebracht hat, natürlich ein anteiliges Belegungsrecht bekommt.

Sie wollen Bremer nach Niedersachsen umsiedeln?

Das Angebot kommt nicht von uns, das war ein Wunsch der Bremer. Die Bremer wollten ja mehrere tausend Wohnungen in den nächsten Jahren bauen. Davon ist nur ein ganz kleiner Bruchteil bisher realisiert worden, und die Chancen, daß noch mehr realisiert wird, sind sehr gering — nicht, weil die Bremer unfähig sind, sondern weil es fast unmöglich ist, die entsprechenden Grundstücke zu mobilisieren.

Aber mit dem Umzug von Bremern ins Umland gingen Bremen doch erhebliche Steuereinnahmen verloren?

Ja, aber für Bremen wäre es allemal billiger, wenn es möglich wäre, mit den Sozialmitteln, die es jetzt für Notunterbringungen in Hotels und Pensionen ausgeben muß, im Umland Wohnungen für diese Leute zu bauen. Und wir müssen dann die Kinder beschulen, Kindergärten vorhalten usw.

Wenn Bremen sozialen Wohnungsbau im niedersächsischen Umland machen würde, dann hätten die Umlandgemeinden allerdings eine Angst wie der Teufel vorm Weihwasser, daß Bremen dann sagt: Wie schön, dann kann ich meine ganzen sozial schwachen Familien ins Umland abschieben. Diese Denke ist in Bremen da, das ist doch logisch. Aber immerhin haben wir jetzt angefangen, über diese Fragen gemeinsam positiv zu diskutieren. Das wäre vor einem halben Jahr noch unmöglich gewesen.

Wie könnte das Ergebnis dieser Diskussion aussehen?

Bremen würde Mittel geben und dafür Belegungsrechte bekommen. Wir müßten einen Mechanismus finden, daß eine soziale Mischung da ist, daß nicht nur die Problemfälle abgeschoben werden. Und wir müßten dafür die Infrastruktur bereitstellen. Das läßt sich machen, dafür gibt es Beispiele in der Bundesrepublik.

Im Gewerbebereich wäre etwas ähnliches möglich. Unsere Arbeitsgruppe kann sich durchaus vorstellen, daß wir gemeinsam Gewerbegebiete erschließen. Für die anteiligen Kosten könnten Gewerbesteuereinnahmen auch anteilig nach Bremen zurückfließen. Natürlich müßte auch der ÖPNV in ein solches quasi Bremer Gewerbegebiet dann von Bremen organisiert werden.

Wenn Ideen dieser Art Wahrheit werden, dann erhalten wir ein völlig neues Bild der Interessenverteilung und der Lastenverteilung. Die Kirchturmspolitik funktioniert nicht länger.

Was meinen Sie, wann das erste konkrete Projekt so weit gediehen ist, daß tatsächlich Verträge geschlossen werden?

Bei den Ausgleichsflächen im gewerblichen Bereich werden Projekte sehr schnell kommen — eventuell noch in diesem oder im nächsten Jahr. Und auch die Frage gemeinsamer Gewerbegebiete wird in den nächsten eineinhalb Jahren ganz konkret werden. Ob aus den Projekten Verträge werden, wird die Nagelprobe sein.

Wir sind zu Anfang nicht euphorisch gewesen, aber es gibt derzeit niemanden — weder aus dem politischen noch aus dem Verwaltungsbereich —, der gesagt hätte: 'Jetzt fangt Ihr aber an zu spinnen.‘ Alle haben gesagt: Genau das ist die Notwendigkeit. Fragen: Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen