Hungerstreiks in Chile: Präsident nennt Mapuche "Terroristen"
Noch immer sind indigene Aktivisten der Mapuche-Indianer im Süden des Landes im Hungerstreik. Die konservative Regierung lässt keine Bereitschaft zum Einlenken erkennen.
PORTO ALEGRE taz | Der Hungerstreik von 32 Mapuche-Aktivisten in Südchile ist in die siebte Woche gegangen, und es zeichnet sich immer noch kein Einlenken der Regierung ab. Im Gegenteil, letzte Woche wärmte der konservative Präsident Sebastián Piñera zwei Jahre alte Anschuldigungen auf, es gäbe eine Zusammenarbeit militanter Mapuche mit der linken Farc-Guerilla in Kolumbien. Mit der kolumbianischen Regierung in Bogotá habe er sich geeinigt, die Bande zwischen "terroristischen Gruppen" in beiden Ländern zu kappen, sagte Piñera.
Die Mapuche, mit gut einer Million Angehörigen knapp sieben Prozent der chilenischen Bevölkerung, streiten für Selbstbestimmung und Land. Seit der Pinochet-Ära wurden sie in ihrer Heimat, der Araucanía-Region rund 600 Kilometer südlich von Santiago, durch Großs taudämme sowie riesige Pinien- und Eukalyptusplantagen großer Zellstoffkonzerne massiv zurückgedrängt.
Rund zwei Drittel der Plantagen liegen auf ehemaligem Mapucheland. Die Zellulose wird zur Papierproduktion vorzugsweise nach Asien und Nordamerika exportiert. In der Nähe des Lleu-Lleu-Sees gibt es zudem große Bergbau- und Erdgasprojekte.
Die meisten Hungersteikenden sitzen unter Anwendung eines Antiterrorgesetzes aus der Pinochet-Diktatur aus dem Jahr 1984 in Untersuchungshaft. 106 Indigene sind derzeit verurteilt, in Untersuchungshaft oder stehen vor Gericht, fast doppelt so viele wie vor einem Jahr. Ihnen wird versuchter Mord, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Gewalt gegen die Polizei, Brandstiftung, Beteiligung an Landbesetzungen und Holzdiebstahl vorgeworfen.
Seit 1997, als drei Holzlastwagen in Brand gesetzt wurden, schwelt der Konflikt in Araucanía, Regionalbehörden und Justiz schlugen hart zurück. Landbesetzungen häuften sich. Der jetzige Hungerstreik richtet sich vor allem gegen das Antiterrorgesetz aus Diktaturzeiten, das Untersuchungshaft von bis zu zwei Jahren erlaubt. Den Anwälten wird der Zugang zu den Ermittlungsakten verwehrt, vor Gericht sagen häufig anonyme Zeugen aus. Die Mapuche und ihre Anwälte streiten für das Recht auf faire Gerichtsverfahren und das Ende der Militärgerichtsbarkeit - oft werden die Aktivisten wegen desselben Vergehens zweimal vor Gericht gestellt.
Der Hungerstreik zeige "die Verzweiflung der Mapuche, die sehen, dass sich alle Türen schließen und dass es keinerlei Bereitschaft gibt, zu reden und den Konflikt zuzugeben", sagt Fernando Lira, einer der Anwälte der Aktivisten. Die Anwendung des Antiterrorismusgesetzes auf die protestierenden Mapuche-Aktivisten hänge mit dem "historischen Rassismus des chilenischen Staates" zusamme, meint der Soziologe Tito Tricot.
Der prominente Mapuchechef Juan Catrillanca fürchtet, Präsident Piñera wolle "die Abkommen mit vielen Gemeinschaften", die unter seiner Vorgängerin Michelle Bachelet erreicht worden seien, ignorieren. Bachelet griff die Empfehlungen diverser UN-Berichterstatter auf und kündigte gegen Ende ihrer Amtszeit die Gründung eines Indígena-Ministeriums an - unter Piñera wurde dieses Projekt auf Eis gelegt.
Eine starke nationale Organisation haben die Mapuche noch nicht, aber mit der Unterdrückung wächst der Widerstand: "Die Mapuche sind nicht mehr dieselben wie vor 20 oder 30 Jahren", sagt Priester und Mapucheseelsorger Fernando Díaz, "heute haben sie ein viel größeres Bewusstsein über ihre Rechte." Die bevorstehenden Unabhängigkeitsfeiern oder Sonntagsreden über ein multikulturelles Chile betrachten sie mit Argwohn. "Sobald es um politische Themen geht, kommt die Regierung mit Repression", sagt ihr Sprecher Enrique Antileo, "das ist der neue Kolonialismus."
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