Hunderttausende auf der Straße: Predigt gegen die iranische Führung
Irans Ex-Präsident Rafsandschani greift im Freitagsgebet Revolutionsführer Chamenei an - und fordert die Freilassung von inhaftierten Demonstranten.
Die mit großer Spannung erwartete Predigt des ehemaligen Staatspräsidenten Haschemi Rafsandschani fiel für die Opposition besser aus als befürchtet, aber auch nicht so gut wie erhofft. Im ersten recht allgemein gehaltenen Teil seiner Freitagspredigt ging Rafsandschani auf die Grundwerte des Islam ein, auf Gerechtigkeit, Frieden und Liebe zu den Menschen. Der Prophet Mohammed habe seine Regierung als einen Vertrag zwischen der Führung und dem Volk verstanden, sagte Rafsandschani. Er habe niemals Gewalt gegen Unzufriedene eingesetzt und niemals versucht, das Volk zu spalten. Die Staatsführung im Islam sei immer auf Einheit bedacht gewesen und habe jeden Schritt, der zu einer Spaltung im Volk hätte führen können, vermieden.
All dies war auf den Revolutionsführer Ali Chamenei gemünzt. Denn er war es, der vermutlich die Wahlfälschung angeordnet und damit das Stimmrecht von Millionen missachtet hatte. Er war es auch, der den Protestierenden mit Gewalt gedroht und diese gegen sie einzusetzen befohlen hatte. Auch gestern ging die Polizei mit Tränengas gegen Demonstranten vor.
Im zweiten Teil der Predigt, der sich dem Brauch gemäß mit sozialen und politischen Fragen beschäftigt, wurde Rafsandschani dann deutlicher. Er sprach von einer Staatskrise, die zur Spaltung der Bevölkerung geführt habe, und er betonte, dass das Vertrauen zwischen Volk und Staat gestört sei. Er forderte die Freilassung der politischen Gefangenen ebenso wie die Aufhebung des Monopols auf die Presse durch den Staat.
Doch zu den Wahlen selbst gab es keine eindeutigen Aussagen von ihm. Er hat nicht von der eklatanten Wahlfälschung gesprochen. Er hat auch nicht die Annullierung der Wahl vom 12. Juni und entsprechende Neuwahlen gefordert. Er sagte nur, die Kritik der Wähler müsse berücksichtigt und geprüft werden.
Trotz vieler Zweideutigkeiten der Predigt kann man davon ausgehen, dass die hunderttausende Demonstranten, die sich auf den umgebenden Straßen versammelt hatten, mit den Äußerungen Rafsandschanis zufrieden sein werden. Denn bei dem Pragmatiker Rafsandschani, der genauso machtbesessen ist wie der amtierende Präsident Ahmadinedschad, konnte man nicht viel mehr erwarten, zumal mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass er die Predigt nur unter bestimmten Auflagen halten durfte. Auch sein Vorredner, der Leiter des Rats der Freitagsprediger Reza Taghawi, der zu den Hardlinern gehört, warnte: Jeder, der die Erlaubnis erhält, beim Freitagsgebet zu predigen, habe die Aufgabe, "das Band zwischen den Gläubigen und dem Führer" zu festigen.
Die Rede Rafsandschanis wurde immer wieder von Anhängern Ahmadinedschads, die wohl die Mehrheit unter den Zuhörern bildeten, unterbrochen. Sie skandierten Parolen wie: "Das Blut, das in unseren Adern fließt, opfern wir unserem Führer" oder "Wir sind keine Verräter, wir lassen Ali (Chamenei) nicht allein". Es gab aber auch andere Teilnehmer, die Rafsandschani unterstützten und ihn baten, für Gerechtigkeit zu kämpfen und nicht nachzugeben. Außerhalb der Universität hatten sich auf umliegenden Straßen zehntausende Demonstranten eingefunden.
Der Auftritt Rafsandschanis zeigte noch einmal die tiefe Kluft in der islamischen Staatselite. Dass er als Prediger auftreten durfte, war ein erstes Zugeständnis der Machthaber, namentlich des Revolutionsführers Chamenei an die Protestbewegung. Es machte deutlich, dass sich die radikalen Islamisten politisch in einer schwachen Position befinden und zur Bewältigung der Krise nicht imstande sind. Es zeigte aber auch, dass selbst der massive Einsatz von Gewalt die Protestierenden nicht zum Schweigen zu bringen vermag. Obwohl es bei den Demonstrationen der vergangenen Wochen zahlreiche Opfer gegeben hat, obwohl sich mehr als 2.000 Menschen in Haft befinden und zu Zugeständnissen gezwungen werden, waren am Freitag wieder allein in der Hauptstadt Hunderttausende versammelt. Die Angst scheint verschwunden zu sein.
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