House-Sänger Robert Owens: "Ich will singend sterben"
Der Sänger Robert Owens ist die Stimme der House Music. Ein Gespräch über House-Traditionen, die Disco-Ära, einen Besuch im Kirchenchor und das richtige Timing.
taz: Herr Owens, Sie haben vielen Produzenten Ihre Stimme geliehen. Nun haben Sie nach langer Pause wieder ein eigenes Album gemacht. Es beginnt mit einem A-cappella-Stück, in dem Sie singen: "Robert Owens - who is he?" Wer also ist Robert Owens?
Robert Owens: Es ist der Typ von nebenan. Ich bin wie jedermanns Nachbar, mit dem man vielleicht nicht spricht, den man aber jeden Tag sieht: ein ganz durchschnittlicher, normaler Typ. Genauso möchte ich auch gesehen werden. Ich möchte Teil der Gesellschaft und des alltäglichen Lebens sein. So bleibt man auch in Kontakt mit normalen Menschen, das ist sehr wichtig. Es gibt in meinem Business nicht genug Leute, die das so machen. Viele stellen sich auf ein Podest und vergessen, wie alle anderen leben und überleben. Sie sind in ihrer eigenen Traumwelt gefangen. Aber ich will nicht in so einer Seifenblase eingesperrt sein. Ich möchte immer ein Teil der Gesellschaft bleiben, das macht einen großen Teil davon aus, wer Robert Owens ist.
Glauben Sie wirklich, dass das Ihre Fans auch so sehen?
Das weiß ich nicht. Ich bin oft geschockt darüber, was für Reaktionen und Kommentare ich zum Beispiel auf meiner MySpace-Seite von Leuten aus der ganzen Welt bekomme, das ist einfach überwältigend. Viele Leute verfolgen, was ich mache, und ich weiß, wie Dinge sie berühren. Aber die meisten haben mich natürlich nie persönlich getroffen und gehen nur von ihren eigenen Gefühlen aus, die meine Musik bei ihnen auslöst. Ein Teil meiner Persönlichkeit bleibt also immer noch ein Mysterium.
Seit in Chicago die House Music entstand und Sie gemeinsam mit Produzenten wie Larry Heard oder Frankie Knuckles Ihre ersten Platten aufnahmen, sind mehr als zwanzig Jahre vergangen. Was für eine Relevanz hat House Music heute?
Sie hat sich einfach zu einer neuen Generation von Musikern weiterentwickelt. Aber zugleich sind viele der alten Protagonisten immer noch aktiv. Sie sind lebende Beispiele für die Geschichte dieser Musik und beeinflussen die neue Generation. Im Grunde geht es immer noch um dasselbe Prinzip: zu versuchen, die Menschen für die kurze Zeit, die man miteinander verbringt, von unnötigem Ballast zu befreien, mit dem sie in ihrem Leben zu kämpfen haben. Das gilt damals wie heute: Wir versuchen, eine positive Botschaft zu verbreiten.
Sie meinen, die Bedeutung von Texten und Songs in elektronischer Tanzmusik nimmt wieder zu?
Das funktioniert so ähnlich wie eine Drehtür. Ich denke, jetzt bricht eine Zeit an, in der sich die Leute diesen vokalen Elementen wieder zuwenden wollen. Seit Jahren gibt es eine Minimal-Techno-Welle, bei der es nur um Sounds geht. Aber immer mehr Menschen wollen Geschichten hören, die sie nachempfinden können und die mit ihrem Leben zu tun haben. Sie wollen jemanden, der davon spricht, was sie fühlen. Sie wollen Gedanken hören, die sie selbst denken. Das finde ich als Sänger natürlich toll. Mein Ansatz ist, diese Idee mit dem zu fusionieren, was aktuell musikalisch passiert. Wir stehen im Jetzt, versuchen aber, das mit den Ursprüngen dieser Musik und mit dieser Song-Tradition zu verbinden.
Woher kommt diese Tradition?
Ich komme aus der Disco-Ära. Wir standen alle total auf Disco, aber die Fusion unterschiedlichster Künstler war damals einmalig. Wenn ich so rund um 1980 aufgelegt habe, mixte ich die B-52s mit den Talking Heads und Police, dann konnte ich James Brown spielen und danach eine zerstückelte Rhythmusspur, aus der sich allmählich der typische House Beat herausschälte. All das passierte in dieser Periode, eine Collage von verschiedenen Dingen. Heute hat alles seine eigene Sparte, es ist sehr strikt: Minimal, Techno, Deep. Man sollte wieder mehr auf diese Idee der Collage zurückgreifen und unterschiedliche Genres miteinander fusionieren.
War Ihre ursprüngliche Idee, mit elektronischen Mitteln Soul- oder R-n-B-Songs zu produzieren?
Wie gesagt, viele von uns waren von Disco inspiriert. Aber dann kamen diese kleinen Geräte auf, die Drumcomputer von der Firma Roland, die ziemlich billig zu bekommen waren. Viele Leute fanden heraus, dass sie mit diesen Maschinen simple Sounds kreieren konnten, und wenn sie dann ein Gesangselement darüberlegten, sind die Leute sofort darauf angesprungen. Es war einzigartig, was da passiert ist! Zugleich war es eine billige Möglichkeit für die Künstler, ihre Botschaft rüberzubringen. Diese Stücke waren nicht so gut produziert wie viele von den Dingen, die uns beeinflusst hatten, aber es war etwas völlig Neues, auf das die Tänzer auch ganz anders reagierten.
Es heißt, Sie hätten sich dann Anfang der Neunzigerjahre für einige Zeit komplett aus dem Musikgeschäft zurückgezogen.
Das stimmt nicht. Irgendjemand hat sich diese Geschichte, dass ich mit der Musik aufgehört und einen christlichen Buchladen eröffnet hätte, ausgedacht und in Umlauf gebracht. Ich habe mich nie zurückgezogen, und das habe ich auch in Zukunft nicht vor. Aber ich war immer ein etwas enigmatischer Charakter. Man wusste nie genau, wo ich war und was als Nächstes passieren würde. Ich bin irgendwo aufgetaucht, war dann verschwunden, um plötzlich woanders wiederaufzutauchen. Und im Gegenzug haben sich die Leute aus Schnipseln verschiedener Informationen eben ihr eigenes Bild von mir zusammengebastelt, so wie sie mich gerne haben wollten.
Warum hat man Ihnen dann ausgerechnet einen christlichen Buchladen angedichtet?
Vielleicht, weil bekannt ist, dass ich meine ersten Erfahrungen als Sänger im Kirchenchor gemacht habe. Daher kommt wohl dieser christliche Aspekt. Aber was für eine seltsame Vorstellung!
Sind Sie denn religiös?
Nein. Ich betrachte Religion als Literatur. Nach allem, was wir heute über Religion wissen, ist sie ein von uns selbst geschaffenes Kontrollinstrument für die Menschheit. An einem gewissen Punkt muss man sich einfach der Wirklichkeit stellen. Warum noch lange im Finsteren herumtappen? Für mich geht es in meinem Leben darum, mit der Realität klarzukommen. Manche mögen das für falsch halten, aber das ist mir egal. Man muss sich selbst gegenüber ehrlich sein. Vieles davon, was mir noch als Kind eingetrichtert wurde, hab ich längst von mir geworfen. Aber der Kern der Sache - diese Idee, dass es da jemanden gibt, der sich um die Menschheit kümmert und sie liebt -, das ist schön. Diese Essenz kann ich akzeptieren, aber der andere Nonsens: raus aus dem Fenster damit!
Sie haben all die Jahre hindurch Musik gemacht und auf vielen Stücken von anderen Produzenten gesungen. Warum hat es denn zehn Jahre gedauert, bis Sie wieder ein Album unter eigenem Namen veröffentlichen?
In diesem Geschäft ist es immer ein Kampf, auch heute noch. Wenn man wirklich überzeugt ist und ein Ziel hat, nimmt man diesen Kampf eben auf sich. Die Freude, die ich davon bekomme, andere Leute glücklich zu sehen, lässt mich diese Anstrengungen aushalten. Selbst wenn es zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre braucht - ich werde immer weiter daran arbeiten. Denn ich weiß, wenn ich nur hartnäckig genug bin, dann wird eines Tages eine Tür für mich aufgehen. Ich habe mich jetzt schon seit Jahren gefragt: Warum geht diese Tür nicht auf? Aber sie ging eben nicht auf, es gibt immer wieder Überraschungen. Letztendlich muss man einfach dankbar sein, wenn die Tür dann aufgeht. Vieles im Leben hat mit Timing zu tun, aber manchmal muss man eben eine lange Zeit einfach nur warten.
Wollen Sie auch noch in zwanzig Jahren zu House Beats singen und in Klubs Platten auflegen?
Ich hoffe, dass ich das mache bis an mein Ende. Ich möchte auf der Bühne sterben, während ich singe.
INTERVIEW: ARNO RAFFEINER
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