■ Hofft Kiew auf ein Geschäft durch START-Verzögerung?: In den STARTlöchern hängengeblieben
Eigentlich müßte die Ukraine glücklich sein, sich so schnell wie möglich von ihrem nuklearen Potential trennen zu dürfen. Die Katastrophe von Tschernobyl hat sie wie kaum ein anderes Land heimgesucht. Was für ein Höllenzeug es ist, weiß man hier nicht nur abstrakt. 1990 – früher als andere ehemalige Sowjetrepubliken – erklärte sich die Ukraine zur nuklearfreien Zone. Nun will sie auf einmal festhalten an ihren atomaren Sprengköpfen? Womöglich damit noch einen lukrativen Handel treiben? Zumindest droht sie mit einer Verzögerung der Ratifizierung des START-I- Vertrages. Kiew besitzt ein Faustpfand. Ohne START I kann auch der soeben zwischen den USA und Rußland geschlossene START II nicht in Kraft treten. Steckt hinter den Kiewer Querschüssen mehr als nur der Wunsch nach mehr Geld aus dem Westen?
Die politische Landschaft in der Ukraine ist ziemlich unübersichtlich. Holzköpfe, so hatte es den Anschein, traten hier geballter auf als irgendwo anders. Seit der gedrehte Kommunist Leonid Krawtschuk die Amtsgeschäfte in Kiew führt, gehören Volten und Finten zum unverzichtbaren politischen Instrumentarium. Vor allem im Umgang mit Rußland spielte Krawtschuk auf dieser Klaviatur. Dem Chamäleon brachte es die Duldung durch seine antikommunistischen, aber stramm nationalistischen Gegner. Krawtschuk tanzt auf dem Seil ohne Netz, deshalb zeigt er sich gefügig. Die Forderungen Kiews jetzt – mehr finanzielle Hilfe bei der Abrüstung und eine Garantie, die Restsubstanzen auf eigene Rechnung verwerten zu können – sind nicht ausverschämt. Doch wie steht es mit den Sicherheitsgarantien gegenüber nuklearer Bedrohung? Auch dieser Wunsch ist berechtigt, nur richtet er sich eindeutig gegen Rußland und will den Westen am liebsten zum Offenbarungseid zwingen.
Für Krawtschuk ist es wieder einmal ein willkommener Anlaß, um sich vor seinen Gegnern als unbeirrter Ukrainer zu profilieren. Zumal gerade eine Unterschriftensammlung läuft, die ihn aus dem Amt werfen soll. Antirussisch kommt immer gut. Wenn in Kiew die Rede davon ist, das Parlament könne querschießen, so ist es diesmal der Präsident, der der Legislative dazu indirekt den Auftrag erteilt. So gelingt es ihm, erst einmal die Radikalen der Unabhängigkeitsbewegung „Ruch“ und eine Reihe liberaler, aber nationalistischer Parteien zu beschwichtigen, die seit längerem fordern, das nukleare Material nicht aus der Hand zu geben. Ruhe an der Heimatfront hat Krawtschuk wirklich nötig. In Kiew wird's brenzlig für ihn – auch ohne Sprengköpfe, nur mit Holzköpfen. Und unterm Strich? Mehr wird rausschauen. Man könnte geradezu argwöhnen, Macchiavelli in persona habe den Ukrainer L. Krawtschuk geklont. Klaus-Helge Donath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen