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Hitzewallung unbekannt

Wie die Wechseljahre erlebt werden, ist kulturabhängig. Selbst die körperlichen Symptome sind von Land zu Land unterschiedlich verbreitet.  ■ Von Regina Röring

In den meisten alten Kulturen erhöht sich der gesellschaftliche Status mit dem Alter. Besonders für Frauen, die in solchen Kulturen während ihrer reproduktiven Phase starken Einschränkungen unterworfen sind, ist Altwerden mit dem Erreichen größerer Rechte und Freiheiten verbunden. Die Wechseljahre stellen dabei häufig die Eingangsstufe in diese Lebensphase dar. Kulturanthropologische Forschungen haben herausgefunden, daß unter diesen Bedingungen Wechseljahresbeschwerden nahezu unbekannt sind. Wie stark der kulturelle Hintergrund das Erleben der Wechseljahre prägt, zeigt ein vergleichender Blick auf verschiedene Kulturen.

Wechseljahre in Japan

Sicherlich symptomatisch für die japanische Sicht auf die Wechseljahre ist die Tatsache, daß lange Zeit kein Begriff dafür existierte. Die heute gebräuchliche japanische Bezeichnung konenki wurde erst um die Jahrhundertwende unter dem Einfluß der deutschen Medizin entwickelt. Doch trotz des westlichen Einflusses ist der Bedeutungsgehalt dieses Begriffes ein völlig anderer als in unserer Kultur. So kam Sonja McKinlay in einer großangelegten Studie zu folgendem Ergebnis: „Die meisten japanischen Frauen assoziieren konenki mit Altern und glauben, daß die Wechseljahre einen graduellen Übergang darstellen, der im Alter zwischen 40 und 45 beginnt und den Eintritt in den späteren Teil des Lebenszyklus markiert. Grauwerden der Haare, Veränderungen der Sehstärke, Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, Kopfschmerzen, Steifheit der Schultern, Schwindel, unspezifische Schmerzen und Abgespanntheit sind die Anzeichen, die am häufigsten mit diesem Übergang verknüpft werden. Das Ende der Menstruation stellt nur einen kleinen und relativ unbedeutenden Teil dieses Prozesses dar. Japanische Ärzte stimmen trotz genauer Kenntnis der westlichen Publikationen mit diesen Beschreibungen überein.“ Vergleichende Untersuchungen haben ergeben, daß das Phänomen der Hitzewallungen, das in westlichen Kulturen als unumstrittenes Merkmal der Wechseljahre gilt, in Japan eher vereinzelt auftritt. Danach haben nur 19,6 Prozent der Japanerinnen in und nach der Menopause jemals eine Hitzewallung, für die es im Japanischen übrigens nur eine Umschreibung gibt, erlebt. In Kanada waren es 64,6 Prozent der befragten Frauen; in Europa liegt der Durchschnittswert sogar bei 75 bis 80 Prozent.

Es wird vermutet, daß Unterschiede in der Ernährung und andere Aspekte der Lebensweise dafür verantwortlich sind. In dem noch stark von Tradition bestimmten Leben Japans, das von Förmlichkeit und Selbstdisziplin geprägt ist und in dem Frauen noch stärker ihre traditionellen Rollen ausüben, scheinen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Steifheit der Schultern und Abgespanntheit als Synonyme für den langsamen Prozeß des Alterns adäquat. Demgegenüber erscheint die westliche Kultur mit ihrer Hektik und den sich ständig wandelnden Anforderungen besonders geeignet, Symptome wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche zu fördern. Versinnbildlichen lassen sich diese Unterschiede im Bild der japanischen Teezeremonie im Vergleich zu der schnellen Tasse Kaffee, die von Frauen unserer Kultur als lebensnotwendiger Antrieb angesehen wird.

Eine weitere Erklärung für die spezifisch japanische Sichtweise auf die Wechseljahre mag auch in den Körpervorstellungen der traditionellen japanischen Medizin zu finden sein. Krankheiten oder Beschwerden werden demnach als Störungen im körperlichen Gleichgewicht gesehen, die weniger einzelnen Organen oder Substanzen als vielmehr der Behinderung von Energieflüssen zugeschrieben werden. Auf diesem Hintergrund erklärt sich, daß die durch das Alter bedingten nachlassenden Energien für Beschwerden verantwortlich gemacht werden – und nicht die Veränderungen der Hormonwerte. Die Menopause wird als sinnvoller, das Leben verlängernder Vorgang gesehen, der den unnötigen Blutverlust beendet, den der älter werdende Körper nicht mehr verkraften könnte.

Einen ganz anderen Stellenwert haben die Wechseljahre für türkische Frauen, der sich nur aus der Bedeutung der Menstruation erklären läßt. Die Menstruation, als Monatsbeginn oder Monatszustand bezeichnet, wird vor allem als Reinigungsprozeß gesehen. „Offensichtlich haben die Frauen die Vorstellung, daß in ihrem Körper eine erhöhte Spannung besteht: Im Körperinnern wird sozusagen alles Überflüssige zusammengeführt, der Körper arbeitet, und daher entstehen besonders vor dem Ausscheiden die Beschwerden“, schreibt Ursula Mihciyazagan in einer Studie über das Verhältnis türkischer Frauen zur Menopause. Obwohl die Blutung selbst mit „Kranksein“ und „Schmutzigsein“ assoziiert wird, leiden die Frauen während der Regel subjektiv kaum; im Gegenteil, „eher scheinen sie stolz darauf zu sein, erst recht, wenn sie von starken Blutungen sprachen“.

Wechseljahre in der Türkei

Da in der islamischen Kultur auch dem Spermienfluß eine reinigende Wirkung zugeschrieben wird, dient in der Vorstellung türkischer Frauen die Menstruation nicht nur der Reinigung von Körpereigenem, sondern auch von Körperfremden, also dem Sperma, sofern die Frau in sexuellem Kontakt mit einem Mann steht. Die Wechseljahre, die im Türkischen als „Abgeschnittensein vom Monatszustand“ bezeichnet werden, haben deshalb für türkische Frauen etwas mit dem Verlust der Reinigungsfähigkeit zu tun, was als negativ angesehen wird. Frühe Wechseljahre gelten deshalb als Unglück. Die Wechseljahre allgemein werden von Türkinnen mit Leiden und Beschwerden in Zusammenhang gebracht, mit Hitzewallungen, „Nervenkrisen“ bis hin zu ernsten Erkrankungen. Mihciyzagan entwickelt die These, daß türkische Frauen so lange unter Wechseljahresbeschwerden leiden, wie die Männer mit ihnen Geschlechtsverkehr haben. Grundsätzlich müssen islamische Frauen ihren Männern Zugangsrecht zu ihrem Körper gewähren. Im individuellen Fall aber hängt dies von der Macht der einzelnen Frau ab. Je höher ihr gesellschaftlicher Status, desto eher ist sie in der Lage, sich ihrem Mann zu verweigern. Aus dieser Sicht stellt die Bewältigung der Wechseljahre für türkische Frauen eine Art „Balanceakt“ dar, der darin besteht, einerseits ihre Menopause hinauszuzögern, notfalls auch mit Hormonen, und andererseits ihre gesellschaftliche Stellung zu erhöhen, um „die Freiheit ihres Körpers zu erreichen“.

Die Wechseljahre im Westen

Obwohl die Wechseljahre in unserer Kultur eher negativ besetzt sind und lange Zeit als Tabu behandelt wurden, ist die individuelle Erfahrung vieler Frauen damit keineswegs negativ. In einer Studie fand McKinlay heraus, daß die meisten Frauen die Wechseljahre positiv sahen. Auch die Vorstellung, daß Frauen in und nach den Wechseljahren verstärkt zu Krankheiten neigten, bestätigte sich nicht. Nach übereinstimmenden Ergebnissen haben zwei Drittel aller Frauen in den Wechseljahren keine oder nur leichte Probleme, während ein Drittel über stärkere Beschwerden klagt. Faktoren wie sozialer Status oder sexuelle Orientierung spielen dabei eine Rolle: Besser ausgebildete, berufstätige Frauen leiden weniger als Unterschichtfrauen, lesbische Frauen weniger als ihre heterosexuellen Geschlechtsgenossinnen.

Für das Leiden von Frauen mittleren Alters in unserer Gesellschaft mag es vor allem zwei Gründe geben. Zum einen sind die Anforderungen an Frauen enorm gestiegen. Die Tatsache, daß der Beruf in viel stärkerem Maße als früher zur Identität von Frauen gehört, hat nicht zu einer Entlastung von anderen traditionell weiblichen Rollenzuweisungen geführt, im Gegenteil. Die Ansprüche an Frauen als Mütter, Hausfrauen und Sexualpartnerinnen sind ebenfalls gestiegen. Auch wenn kaum eine Frau alle Erwartungen erfüllen kann oder will, so ist doch deren Druck für die meisten mehr oder weniger ständig spürbar. So klagen viele Frauen in den Wechseljahren darüber, daß sie es leistungsmäßig nicht mehr schaffen, ihren Alltag zu bewältigen. Bei näherem Nachfragen stellt sich meistens heraus, daß nicht die hormonelle Umstellung an sich das Problem ist, sondern die jahrelange Überforderung, die die Kraftreserven erschöpft hat.

Ein anderes Hauptproblem für viele Frauen in den Wechseljahren ist die Angst, als ältere Frau nicht mehr attraktiv für Männer zu sein – und dies in einer Gesellschaft, die stark an den Normen von Jugendlichkeit orientiert ist und den Wert von Frauen in erster Linie daran bemißt. Dieser Faktor unterminiert das Selbstbewußtsein alternder Frauen.

Die zweite Lebenshälfte ist heute für Frauen länger als je zuvor. Gleichzeitig gibt es aber nur sehr unklare Orientierungen, wie sie zu gestalten ist. Normbilder von den ewig jungen Alten, die unternehmungslustig, sportlich und sexuell aktiv ihr Leben autonom gestalten, kontrastieren mit einer Realität von Altersarmut und Pflegebedürftigkeit, die vor allem Frauen betrifft. In dieses Vakuum zwischen übermäßigen Ansprüchen einerseits und begründeten Ängsten andererseits stößt nun die Pharmaindustrie mit dem Versprechen, mit den physiologischen Anzeichen des Alterungsprozesses auch gleichzeitig dessen Folgen abzumildern – dies durch den „normalisierenden“ oder „ausgleichenden“ Einfluß der Ersatzhormone. Der Begriff der „Normalisierung“ reproduziert dabei die gesellschaftliche Diskriminierung älterer Frauen auf der medizinischen Ebene, indem er die junge Frau in ihrer reproduktiven Phase zur Norm erklärt. Dies ungeachtet der Tatsache, daß diese Phase heute normalerweise kaum mehr als die Hälfte eines Frauenlebens ausmacht.

Die Wechseljahre mit ihren Veränderungen auf der körperlichen Ebene können auch eine Zeit des Umbruchs auf psychischer Ebene sein, vielleicht sogar eine Art Barometer, das den Stand der Zufriedenheit mit dem bisherigen Leben anzeigt beziehungsweise auf Schwächen hinweist.

Starke Stimmungsschwankungen, die Frauen während der Wechseljahre an sich beobachten, sind nicht lediglich eine Folge von Hormonschwankungen, sondern oft auch ein Reflex auf eine konkrete Lebenssituation. So berichten Frauen von scheinbar unmotivierter Gereiztheit, die sich aber bei Nachfrage als Ärger und Wut auf konkrete Personen oder Lebensverhältnisse entpuppt. Andere wiederum erkennen im nachhinein in ihren depressiven Verstimmungen einen Abwehrmechanismus gegenüber übermäßigen Anforderungen der Umwelt und eine Möglichkeit zur Rückbesinnung auf sich selbst.

Es hängt also stark von der Sichtweise und den Umständen ab, wie Frauen die Anzeichen der Wechseljahre erleben, die in der Medizin undifferenziert als behandlungsbedürftige Symptome gewertet werden. Die Versprechungen der Hormonproduzenten fixieren Frauen auf die überholten Werte von Attraktivität und gleichbleibender Leistungsfähigkeit und schaffen neue Abhängigkeiten statt Autonomie. Die eingeleitete Hormonisierung der Wechseljahre bedeutet gleichzeitig auch Harmonisierung, das heißt Einebnung der Widersprüche und Dissonanzen und Einpendeln auf das gesellschaftlich erwünschte Mittelmaß.

Viele Frauen berichten, daß mit dem Ende der Wechseljahre neue Energien in ihnen erwacht sind, die es ihnen möglich machten, Veränderungen in ihrem Leben durchzusetzen und neue Wege einzuschlagen. Wenn es Frauen gelingt, diese Potentiale zu nutzen, um positive Vorbilder für neue Frauenrollen im Alter zu schaffen und dabei die Zwänge alter und neuer Frauenklischees abzustreifen, wird dies langfristig wesentlich mehr dazu beitragen, das Erleben der Wechseljahre für Frauen positiv zu verändern, als Hormongaben.

Regina Röring ist Mitarbeiterin des Feministischen Frauen Gesundheits Zentrums in Berlin

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