■ Hitzesommer: Schluß mit dem Leiden!
Wie wird sie manchmal besungen, diese Stadt, als südländischste des ansonsten kaltblütigen Landes, als Spreeathen samt Klein-Venedig unter märkischen Kiefern in Rahnsdorf und einer Spanischen Allee, die geradezu zum Strandbad Wannsee führt. Ach hätten sie doch recht, die Bänkelsänger – allein die Berliner, sie singen nicht mit. Sommerfrische, schön und gut, Sommerhitze – nein danke! Wie heißgelaufen wehren sich die Hauptstädter gegen die gleichmacherische Diktatur des meteorologischen Aufschwungs. Die Melancholiker sitzen vor geöffneten Kühlschränken und beschweren sich, wenn das Bier Zimmertemperatur annimmt, die Choleriker üben sich im Schattenboxen gegen Wespen und Stechmücken, und die Lebensmüden verbrachten die letzten Abende damit, die Fenster zu verbarrikadieren, auf daß sich nicht auch der Vollmond noch ihrer Seele bemächtige.
Die Stadt ist wie im Rausch, und die Städter schlucken Aspirin. Den sonst coolen Berlinern, so steht dieser Tage zu befürchten, gebrach es schon immer an sonnigem Gemüt. Und an der nötigen Gelassenheit. Wer in Rom bei glühender Hitze über schmelzenden Asphalt rutscht, findet das römisch. Wer an der französischen Riviera keinen Parkplatz für die Strandmatte findet, findet das französisch. Wer in Berlin nichts findet als Sonne, findet das schlicht übertrieben. Dabei muß man kein Prophet sei, um der Dinge zu harren, die da kommen. Ganz nach dem Brechtschen Verdikt, demzufolge das Gedächtnis der Menschheit für erfolgte Leiden nachgerade kurz sei, wird allenthalben gemäkelt, geschwitzt und gestöhnt, als seien Regen, Hagel und Sturm Relikte aus vorsintflutlicher Zeit. „Früher war alles besser, selbst die Zukunft“, spitzte einst Tucholsky die Feder wider die Nörgler. Daß jenen freilich bald die Luft ausgeht, bleibt die begründete Hoffnung der warmblütigen Minderheit dieser Stadt. In diesem Sinne: Auf einen weiterhin heißen Sommer und einen ebensolchen Herbst! Uwe Rada
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