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Archiv-Artikel

Hinter dem Tuch sucht man den Sinn

Noch bis Sonntag feiert Bremen sein Tanz-Festival. Im jährlichen Wechsel mit den Oldenburger „Tanztagen“ bringt es internationalen choreografischen Input in die Hansestadt – der im Fall von „Giap Than“ jetzt allerdings doch zu fremd wirkte

200 Quadratmeter sind eine Menge Stoff. Reichlich ausgewaschen hängen sie im Bremer Schauspielhaus, „Coca Cola“ ist zu entziffern, ebenfalls „Owo“ oder „Omo“: Jean Michel Bruyère hat die Werbebanner aus Vietnam kreuz und quer zusammen genäht. Jetzt sind sie sowohl Tanzfläche als auch Bühnenbild für Régine Chopinots Choreografie „Giap Than“, die im Rahmen von „Tanz Bremen“ Europa-Premiere feierte.

Chopinot, Grande Dame der französischen Tanzszene, trainiert seit einiger Zeit das Hanoier Opernballett. Und dessen bis dato beinahe ausschließliche Verankerung in traditionellem und klassischem Tanz muss man sich vergegenwärtigen, um die nun aus Asien transferierte Produktion zu verstehen. Denn auf den ersten Blick geschieht auf der Bühne – nicht allzu viel.

Sicher: Wenn sich die sechs TänzerInnen in ihren schlichten weißen Kleidern am Bühnenrand niederlassen, ist die eintretende Stille bemerkenswert. Auch wenn sie ihre Soli zeigen, strahlen sie Ruhe aus – aber eben auch nicht mehr. Einzig die flatternden Hände von Quach Hoang Diep bringen Bühne und Zuschauermienen in Bewegung, vibrierenden Kolibri-Flügeln gleich ziehen sie Dieps Körper hinter sich her. Ansonsten überwiegt das für europäische Augen reichlich Etudenhafte. Wer es gewohnt ist, Aggression als einen der wesentlichen choreografischen Motoren zu erleben, kommt hier kaum auf seine Kosten, auch die Suche nach plastischen Bildern scheint in dieser Koproduktion wenig zu interessieren.

Schon der Sound – Gianni-Grégory Fornet an der E-Gitarre – beschwört meditatives Gleichmaß oder zumindest Ausgewogenheit. Und selbst die Spielmöglichkeiten all der Stoffbahnen verleiten die Akteure kaum zum Experiment. Da wird schon mal an den Seiten gezupft oder auch eine Wicklung gewagt, aber so, wie sich die personellen Interaktionen zugunsten langer Solo-Suiten in Grenzen halten, bleibt auch das textile Gegenüber in seinen Dimensionen weitgehend unerforscht.

Die eher zurückhaltenden Publikumsreaktionen mögen auch damit zusammen hängen, dass gerade dieser Produktion – als optischem Aushängeschild des Festivals – besondere Erwartungen entgegen gebracht wurden. Bremen hat seit 20 Jahren ein Tanz-Festival, seit 2002 allerdings nur noch alle zwei Jahre. Man könne dafür ja nach Oldenburg fahren, hieß es damals – was die Verantwortlichen nicht daran hinderte, die nunmehr biennalen Festivals gleichzeitig stattfinden zu lassen.

Das Leitungsteam um Honne Dohrmann und Sabine Gehm hat diese Hürde nun gemeistert, wobei vor allem Dohrmann entscheidende Bedeutung zukommt: Er ist mittlerweile so etwas wie ein General-Impressario des Tanzes im Nordwesten. Neben der künstlerischen Leitung von „Tanz Bremen“ und der internationalen Oldenburger „Tanztage“ ist er auch Direktor des „Tanztheaters Nordwest“, wie sich der partielle Zusammenschluss der Bremer Compagnie mit der des Oldenburger Staatstheaters nennt – die Premieren werden wechselseitig ausgetauscht, einmal pro Jahr gibt es eine gemeinsame Großproduktion.

Trotz dieser Zentralisation hält es Dohrmann für gut machbar, dem Oldenburger und dem Bremer Festival eine jeweils unterschiedliche Handschrift zu geben. Lebt er also an der Weser seine wilderen Teile aus? Das Bremer Profil sei durchaus experimenteller angelegt, sagt Dohrmann, für Oldenburg tendiere er eher in Richtung Tanztheater.

Bei näherer Betrachtung erscheint die Situation paradox: Zwar steht die ehemalige großherzogliche Residenzstadt in der Tat im Ruf, konservativeres Publikum zu haben – nicht umsonst hieß das dortige Festival lange Zeit „Ballett-Tage“. Unter diesem Label allerdings liefen wesentlich avantgardistischere Produktionen als in Bremen und fanden trotz allen Provo-Potenzials ihr Publikum. Vielleicht wäre „Giap Than“ dort als Provokation gefeiert worden: als Provokation des Unspektakulären. HENNING BLEYL

Programm und Karten: www.tanz-bremen.de