: Hinter Blattwerk-Schleiern
Im Chaos des nördlichen Endes von Lehe hat die Architektin Iffi Wübben jüngst Ordnung geschaffen: Das Atlantic Hotel erweist sich als ein Neubau, der fast lässig mit den ästhetischen Widersprüchen seiner Umgebung spielt – durch Schichtungen, Plastizität und rankendes Grün
Ein klassischer Stadtplatz ist er nicht, Bremerhavens Flötenkiel. Eher schon ein Verkehrsknotenpunkt. Gleich fünf wichtige Nord-Süd-Verbindungen berühren den Punkt am nördlichen Ende von Lehe, dem ältesten jener drei Orte, aus denen sich erst in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts Bremerhaven zur Großstadt formierte. Das Stadtbild ist hier von einer geradezu beispiellosen Uneinheitlichkeit – Alt und Neu, Enge und diffuse Offenheit, Kern und Rand, Groß- und Kleinstadt prallen unvermittelt aufeinander.
Hier eine ordnungsstiftende Gestaltung anzubringen – unmöglich. Doch irgendwie scheint das Unmögliche nun doch möglich geworden zu sein. Denn mitten in dieses Chaos hat die Architektin Iffi Wübben jüngst mit dem Atlantic Hotel einen Neubau platziert, dem es gelingt, fast lässig mit den ästhetischen Widersprüchlichkeiten seiner Umgebung zu spielen und sie damit akzeptabel, gewissermaßen genießbar zu machen.
Auf den ersten Blick erscheint der Bau als wenig differenzierter viergeschossiger Riegel mit Flachdach und durchlaufenden Festerbändern an den Längsseiten. Das Erdgeschoss ist bis auf die Rezeption und einen Technik-Kern freigehalten. Funktional dient der Freiraum als gedeckter Parkplatz für die Hotelgäste, optisch sorgt er für Transparenz und vermindert eine Abwertung der Rückseite. Um dem schlichten Baukörper Prägnanz zu verleihen, greift die Architektin auf drei gestalterische Mittel zurück: Farbgebung, Schichtung und Plastizität.
Farblich überrascht der Kontrast zwischen den mit Farbfeldern im Grün-Spektrum rhythmisierten Brüstungsstreifen und den popbunt gestrichenen runden Betonstützen im Erdgeschoss: Letzteres ein ironischer Reflex auf die bunte Vielfalt der Umgebung? Das Grün der Fassade jedenfalls korrespondiert eindeutig mit dem zweiten Gestaltungsprinzip, der Schichtung: An einer Auskragung im Dachbereich ist ein mit Monierstäben abgehängter langer Pflanztrog auf Höhe der Basis des ersten Obergeschosses befestigt. Aus diesem werden bald Glyzinien und andere Kletterpflanzen an den gerippten Stäben emporklimmen und die Fassade mit einem vegetabilen Schleier überziehen. Ein Experiment, das auch technisch (Bewässerung) nicht ganz unaufwändig ist.
Das dritte Gestaltungsprinzip zeigt sich in einem kühn auskragenden, voll verglasten Bauteil im ersten Obergeschoss, das den Frühstücksraum aufnimmt: ein Kontrapunkt zum lang gestreckten Baukörper. In der grünlichen Sonnenschutzverglasung spiegeln sich die gegenüberliegenden Häuser und „verschmelzen“ mit der Hotelfassade. Die Wirkung dieses optischen Spiels wird übertroffen von dem Eindruck, den man im Frühstücksraum selbst gewinnt. Wie in einem gut funktionierenden Straßencafé kann man sich hier mitten im urbanen Geschehen fühlen – und gleichzeitig in Distanz zu ihm. Die weitere Innengestaltung wirkt unprätentiös.
Gleichwohl wusste die Architektin trotz des engen Budgets einiges an Raffinement im Detail durchzusetzen. Das wird vor allem in der Gestaltung der Zimmer deutlich – etwa in der Art, wie die Sanitärkabine mit Hilfe einer optisch aufgelösten Ecke und eines geschickt platzierten Wandspiegels in den Raum integriert ist. Hier zeigt sich die hohe Kunst, einen kleinen Raum nicht beengend wirken zu lassen. Mit einem schmalen Streifen Maputo-Furnier zaubert Wübben sogar einen Hauch Ornament und Luxus in das von hellen Farben bestimmte Interieur.
Die Bremer Architektin hat ihre entscheidende künstlerische Prägung um 1990 erfahren, als sich die Hansestadt für ein paar Jahre an der Hochschule für Künste einen Aufbaustudiengang Architektur leistete, an dem neben anderen der inzwischen international gefragte Londoner Architekt Will Alsop lehrte. Hätte man dieses Experiment nicht allzu schnell abgebrochen, gäbe es in Bremen und Bremerhaven vielleicht mehr GestalterInnen von vergleichbarer kreativer Frische.
Für ihr 1995 fertiggestelltes, inzwischen erweitertes Comfort Hotel am Fischereihafen hat Wübben 1998 den BDA-Preis erhalten. In Bremen ist sie durch den Erweiterungsbau des Gesundheitsamtes in der Horner Straße aufgefallen. Zur Zeit plant sie in Bremerhaven – nach einem Wettbewerbserfolg – eine Wohnanlage in exklusiver Lage zwischen Deich und Neuem Hafen.
Eberhard Syring