■ Hildegard Hamm-Brücher und die Präsidentendebatte: Ein Trauerspiel
Die FDP hält an Hildegard Hamm-Brücher als Vorschlag für das Bundespräsidentenamt fest – sagt die FDP und denkt das kleine „noch“ gleich hinterher. Die Kandidatin selbst weiß es am besten. Umfallen ist zum Wesenszug liberaler Parteiphysiognomie geworden. Sie kennt die Winkelzüge ihrer Pappenheimer. Sie hat keine Chance, aber will sie trotzdem nutzen.
Doch Hildegard Hamm-Brüchers Kandidatur ist nicht bloß neuer Akt im Endlos-Drama FDP. Das Trauerspiel hat andere Dimensionen. Vorgeführt wird, wie Frauenpolitik im Jahre drei nach der Wiedervereinigung heillos unter die Räder der politischen und wirtschaftlichen Sachzwänge geraten ist: reichlich spät sorgte erst eine unabhängige Fraueninitiative dafür, daß überhaupt eine Frau ins Rennen ging. Keine Partei, auch nicht die Grünen, hatte eine Präsidentin in den Bereich des Denkbaren gerückt. Auch die FDP mußte erst zu ihrer Kandidatin „getragen“ werden. Das Prädikat „Ost“ galt monatelang als unverzichtbares Markenzeichen für das Amt. Das Attribut „weiblich“ kam erst gar nicht in den Sinn. Signalwirkung für die Neufünfländer. Aber klar! Signalwirkung für Frauen? Feministischer Schnickschnack!
Seit mit Hildegard Hamm-Brücher eine der angesehensten und integersten Frauen der jüngeren deutschen Politik gefunden ist, trifft sie auf die schäbigste aller möglichen Behandlungsarten: auf Nichtbeachtung. Die Frauen in den anderen Parteien, intern des Lobes voll über die Bewerberin, kuschen vor der Männer-fixierten Parteiräson. Und die Medien schicken die Kandidatin auf einen Parcours außer Konkurrenz. Da wird die streitbare Dame mit genau den Attributen bedacht, die das Amt braucht: „erbarmungslos aufrecht“, „Idealistin“, „unterwarf sich selten der Parteiräson“. Über keinen der männlichen Konkurrenten hat man je solches gelesen. Und doch können die Herren das Rennen unter sich ausmachen: ein salbadernder Johannes Rau, dessen pastorales Gehabe längst als nervtötend verbrieft ist. Ein Roman Herzog, dessen Biographie als hervorstechendste Tat die Erfindung der Wegtragegebühr für Sitzblockierer nennt. Ein wieder ins Spiel gebrachter Richard Schröder, der ein gescheiter Mann sein mag, aber dessen strähnigen Haarschopf man nun doch nicht täglich auf Staatsbesuch sehen möchte. Ein intelligenter und aufrechter Jens Reich, den man sich dennoch nicht bei einer Neujahrsansprache vorstellen kann, die auch der Nachbar noch begreift. Der 70jährige Rudolf Augstein, im Vergleich zur 72jährigen Hamm-Brücher ein Greis, hat es am deutlichsten gesagt: Die Kandidatin hat das falsche Geschlecht. Das Präsidentenamt sei ein „Fall für zwei“, und Gatte Hamm sei viel zu alt – (fürs Damenprogramm?) Gern wüßten wir, wie rüstig Frau Herzog ist. Auch ob eine Frau Rau wirklich gut bei Fuß ist. Und ob es eine Frau Schröder überhaupt gibt. Vera Gaserow
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