■ Heute wird in Israel gewählt. Doch die Slogans von dem Likud und der Arbeitspartei unterscheiden sich kaum: Eine historische Wahl?
taz: In der Weltöffentlichkeit gilt die Wahl zwischen dem Arbeitsparteichef Schimon Peres und dem Likud-Chef Benjamin Netanjahu als Schicksalsfrage. Hängt der Friedensprozeß tatsächlich davon ab, ob der Likud oder die Arbeitspartei die Wahlen am heutigen Mittwoch gewinnen?
Ilan Pappé: Es gibt keinen großen Unterschied zwischen der Arbeitspartei und dem Likud in der Frage des Friedensprozesses. Der Likud wird den Oslo-Vertrag akzeptieren, und die Arbeitspartei wird sich nicht allzu weit von dem entfernen, was der Likud als gut für Israel betrachtet.
Anders sieht die Sache aus, wenn wir die möglichen Koalitionen betrachten. Der Likud zieht fanatischen Zionismus und religiösen Nationalismus an. Die Arbeitspartei dagegen wird Koalitionspartner finden, mit denen Fortschritte im Friedensprozeß eher möglich sind.
Daher ist es nicht so wichtig, ob Peres oder Netanjahu Ministerpräsident wird. Bedeutender ist, wie die Kombinationen im zukünftigen israelischen Parlament aussehen. Das ist die eigentliche Frage von geschichtlicher Bedeutung.
Und wie könnte die Parlamentsbesetzung aussehen?
Seit den letzten Wahlen 1992 ist klar, daß die Arbeitspartei nur mit den Stimmen der israelischen Araber an die Macht kommen kann. Das ist etwas Neues. Diese politische Macht auch auszunutzen, das ist für die israelischen Araber ein Lernprozeß. Eine mehrheitlich arabische Partei wie die Hadasch, stand 45 Jahre lang am Rand der israelischen Gesellschaft, ausgeschlossen von jedem Konsens. Nun wird diese Partei eine legitime Kraft.
Was bedeutet dies für die Zukunft?
Es gibt zwei prinzipell verschiedene Alternativen. Wir haben das von der Linken in Europa gelernt. Eine oppositionelle Minderheit kann im Prozeß ihrer Legitimierung ihre Grundsatzpositionen verlieren könnte. Andererseits kann sich, wenn etwas legitim wird, was vorher illegtim war, auch dieStruktur des Ganzen, ändern.
Was die Palästinafrage betrifft, so existieren zwei Konzepte. Das US-Konzept gleicht dem der Arbeitspartei und des Likud, und ich fürchte, auch Arafat hat sich dem verschrieben. Dieses Konzept bedeutet: Es kann viele symbolische israelische Konzessionen geben, aber sehr wenige konkrete israelische Zugeständnisse.
Schauen wir uns die Lösung an, wie sie derzeit von der Arbeitspartei angeboten wird: Jerusalem wird nicht geteilt. Die Mehrheit der Siedlungen wird nicht aufgelöst. Nicht einmal eine Diskussion über das Recht der palästinensischen Flüchtlingen zurückzukehren, soll es geben. Diese vier Faktoren werden Teil des endgültigen Status sein, der jetzt verhandelt werden soll. Das ist meiner Meinung nach kein akzeptables Konzept.
Aber Arafat hat dem zunächst einmal zugestimmt.
Weil die Palästinenser schwach sind, kann Israel derzeit diese Lösung erzwingen. Wer weiß, es kann Jahre dauern, bis es wieder zu richtiger Opposition oder gar Aufständen kommen könnte. Es gäbe allerdings noch ein zweites Szenario: zurück zu dem Geist von Oslo. Es wird keine dauerhafte Lösung geben, wenn die meisten Siedlungen nicht aufgelöst oder der palästinensischen Administration unterstellt werden.
Damit stehen Sie aber weit am Rand des israelischen Konsens.
Vor vier Jahren hat die linke Meretz-Partei noch genau das gleiche gesagt. Jetzt sagt sie, daß wir dem Konzept der Arbeitspartei folgen sollen. Ein paar Siedlungen werden aufgelöst, der Rest wird zu Blocks zusammen gefaßt und annektiert. Den Palästinensern blieben dann etwa 65 Prozent des Westjordanlandes und des Gaza- Streifens. Ein solcher palästinensischer Staat wird zudem in seiner Außenpolitik vollkommen abhängig von Israel sein.
Glauben Sie, daß Israel sich in Zukunft stärker in die nahöstliche Region integrieren wird?
Es gibt zwei Methoden der Integration. Der israelische Markt wird ein Teil des nahöstlichen Marktes werden, wir könnten sogar Repräsentanten in der Arabischen Liga sitzen haben. Aber wir bleiben wie das Venedig im Mittelalter. Wir bleiben ein Ministaat westlicher Zivilisation, der sich nicht mit seiner Umgebung verschmelzen kann. Kulturell sind wir nicht integriert.
Es gibt aber eine kleine Hoffnung. Menschen, die sich als Zionisten betrachten, die aber ursprünglich aus den arabischen Ländern stammen, sympathisieren mit einer Art kultureller Integration. Wir erleben gerade eine typisch israelische Modewelle, die in diese Richtung weist. Israel soll sich nicht als Teil nahöstlichen Kultur definieren, sondern als Teil einer Mittelmeerkultur. Manche Intellektuellen reden davon, die Lehrpläne zu verändern und mediterraner zu gestalten. Das heißt aber auch: stärker nahöstlich orientiert. Es soll mehr über arabische Geschichte und Kultur gelernt werden und mehr Austausch mit arabischen Intellektuellen geben. Das mag aktuell wenig erfolgreich sein, aber langfristig ist es richtig.
Wir wirkt sich der Konsens der großen Parteien auf die Wähler aus?
Es gab noch nie so viele Wähler, die sich bis zuletzt nicht entschieden haben. Das liegt daran, daß sich die Wahlplattformen kaum unterscheiden. Einer ist für Frieden mit Sicherheit, der andere für Sicherheit mit Frieden.
Und dies obwohl die wirtschaftlich und soziale Polarisierung in der israelischen Gesellschaft wächst. Die relative Ruhe in den Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern bringt kulturelle, ethnische und wirtschaftliche Unterschiede in der israelischen Gesellschaft wieder zum Vorschein. Zuvor war das alles begraben unter dem Konsens, alles als ein Sicherheitsproblem zu betrachten.
Ist es das, was neuerdings in Israel als Post-Zionismus bezeichnet wird?
Ja. Eine Teil dieses Prozesses ist auch, daß die Unterschiede zwischen der Arbeitspartei und dem Likud mehr und mehr verschwimmen. Es kommt dann nur noch darauf an, wer besser im Fernsehen auftritt. Das ist das US-Modell. Jetzt haben wir 25 Fernsehstationen bei jeder israelischen Wahl. Man schaltet sich mit der Fernbedienung durch – zapp. Irgendwann müssen wir mit dem Problem des Zapping umgehen und nicht damit, ob Hebron jüdisch ist oder nicht. Ich kann all diese Prozesse beschreiben, aber noch nicht sagen, wie signifikant sie sein werden. Das Ganze ist noch sehr neu.
Was die Zukunft Israels betrifft, so gibt es drei grundsätzlich verschiedene Ansichten. Die einen warnen vor dem Ende des jüdischen Staates. Deshalb sollen sich die 80 Prozent mit gesundem Verstand vereinigen, die restlichen Splittergruppen sind dann ohne Bedeutung. Eine andere Gruppe, hält daran fest, daß sich nichts geändert hat. Dem Zionismus sei es nie besser gegangen. Die dritte Gruppe, zu der ich gehöre, sagt, das, was man mit Post-Zionismus umschreiben kann, ist eine Chance. Interview: Karim El-Gawhary,
Jerusalem
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