Heute noch kein Massaker. Heute nur Chillen, Youtube und Facebook – bis meine Mutter anruft: Ein gewöhnlicher und schöner Tag
Warum so ernst?
Aboud Saeed
Ich wachte morgens auf / wusch mir das Gesicht und wischte den Tisch ab, über dem ich den gestrigen Abend verbracht habe
Ein sauberer Aschenbecher und eine Tasse Kaffee mit zwei Würfeln Zucker, der zivilisierten Welt zum Trotz
Und nach dem ersten Schluck zünde ich mir eine Zigarette an
und chille.
Und was das Chillen noch chilliger macht, ist die Tatsache, dass meine Freundin noch schläft
und meine Mutter noch nicht angerufen hat
und, wie es aussieht, es heute noch kein Massaker gegeben hat
Nur die üblichen Todesopfer, bei denen man sich nicht verpflichtet sieht, sie zu erwähnen
und stinknormales Bombardement. Weder Chemiewaffen noch Napalm.
Alles cool.
Ich zünde mir eine zweite Zigarette an und begebe mich auf Youtube
Musik ist das Mindeste, was mir an diesem gewöhnlichen, chilligen Tag zusteht
Bob Marley singt „No woman, no cry“
Und ich lade mein Facebookprofil bei einem langen und hemmungslosen Schluck Kaffee
Die Zahl der Facebookfreunde ist wie gehabt. Keiner hat mich gelöscht
Abgestandene Nachrichten von der gestrigen Nacht
und ein paar Likes für meine Posts sind meine Bilanz.
Alles cool.
Ich zünde mir meine dritte Zigarette an, gehe auf die Freundesliste
und suche nach einer Frau, die ich liebe
Ich will, dass sie zierlich ist und kurze Haare hat,
wie Charlize Theron im Film „Im Auftrag des Teufels“
Eine Frau, die alle Kamasutra-Lektionen kennt
und jeden Trick aus dem Buch „Wie man einen Greis wieder jung macht“.
Eine Frau, die weder zur Opposition hält, noch zum Regime; eine Frau, die zu mir hält
Eine Frau, deren Bett 158 cm lang ist
Eine Frau, die Johnny Depp liebt und die Filmreihe „Pirates of the Caribbean“,
mir Popcorn macht, auf meinem Schoß sitzt, mit der ich Filme schaue und wir bei der Hälfte einschlafen
Eine Frau, die Henry Miller liest, seufzt, und sagt: Puh, ist das schwierig
Eine Frau, die die Männer dazu bringt, einzig um ihretwillen supernett und superfake zu mir zu sein
Eine Frau, überwacht wie das Grab eines Königs
Eine besessene Frau, ich bin ihr Rasputin
Eine Frau, die der Poesie in den Arsch tritt und sagt: Jetzt flirte mit mir!
Eine Frau, die Angst hat vor mir, und sagt: Flieh, Aboud, flieh!
Ich suche sie, bevor meine Mutter anruft
Bevor ein Massaker geschieht
Bevor meine Freundin aufwacht.
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