Hessens Grüne: Angst vorm knallroten Gummiboot
Hessens Grüne wollen Sicherheit: Sie verlangen geheime Probeabstimmungen vor der Wahl von Ypsilanti zur Ministerpräsidentin - und dann das Umweltministerium.
WIESBADEN taz Die Quintessenz der von Landesvorstand und Landtagsfraktion der hessischen Grünen nach einer Klausurtagung verabschiedeten "Schlangenbader Erklärung" ist Beleg für die Rat- und Hilflosigkeit aller Beteiligten beim Poker um die Macht in Wiesbaden. Voraussetzung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SPD seien "geheime Abstimmungen" der drei Fraktionen - also auch der Linken - vor der avisierten Wahl von Andrea Ypsilanti (SPD) zur Ministerpräsidentin und der Bestätigung ihres Kabinetts, heißt es darin. Bevor man sich in "schwere See" begibt, will man bei den Grünen nämlich wissen, "ob wir auf ein hochseetaugliches Schiff steigen oder in ein knallrotes Gummiboot", so Partei- und Landtagsfraktionschef Tarek Al-Wazir.
Dass mit solchen Probeabstimmungen - um in der maritimen Terminologie zu bleiben - eventuelle "U-Boote" tatsächlich geortet werden können, wollten dann aber auch Al-Wazir und seine Vorstandskollegin Kordula Schulz-Asche nicht behaupten. Schließlich sank auch die als durchaus hochseetauglich bewertete "Titanic" nach der Kollision mit einem Eisberg einst wie ein Stein. Die rein rechnerische linke Mehrheit im Hessischen Landtag ist mit 56 von 110 Abgeordneten also weiter denkbar knapp - und das Risiko entsprechend groß. Doch auch die Grünen wissen: "Ein Politikwechsel ohne Regierungswechsel ist unvollständig; nur ein Regierungswechsel garantiert auch den spürbaren Politikwechsel."
An den "inhaltlichen Zielvorstellungen" der Grünen wird der nicht scheitern. In der Energie- und Bildungspolitik, in der Sozial- und auch in der auf die Mittelstandsförderung fixierten Wirtschaftspolitik nämlich liegen die drei Parteien mit ihrer Programmatik nah beieinander. Und die Differenzen seien "verhandelbar", auch wenn Meinungen gerade beim laufenden Landebahnbau am Airport Frankfurt konträr sind. Die SPD ist dafür, Linke und Grüne sind strikt dagegen. Al-Wazir reklamierte in diesem Zusammenhang und mit Blick auf eine eventuelle rot-grüne Koalition schon einmal das Umweltministerium für seine Partei; und das sei "nicht verhandelbar".
Jetzt aber müsse die Linke auf ihrem Parteitag Ende August erst einmal "für klare Verhältnisse" sorgen und bei einer Entscheidung für ein Tolerierungsbündnis dann auch bereit sein, dem Haushalt 2009 und bestimmten Gesetzesvorhaben zuzustimmen. "Auf die treuen Augen von Linksfraktionschef van Ooyen alleine" wolle man sich danach allerdings nicht verlassen, so Al-Wazir. Ob es aber gleich ein "Vertragswerk" sein müsse, mit dem die Linke in die Pflicht genommen werde, sei eine noch offene Frage.
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