: Herz und Taschenrechner
Wie schön wäre das Leben, hätte man nur genug Geld und dreihundert Sonnentage im Jahr: „Ein gutes Jahr“ von Ridley Scott ist eine weichgezeichnete Winzerkomödie
Kennen Sie „Manufactum“? Das ist dieses Versandunternehmen, das seine handgefertigten Naturhaar-Besen und gusseisernen Salatschüsseln mit dem Slogan bewirbt: Es gibt sie noch, die guten Dinge. Ridley Scott hat einen Film für Leute gedreht, die die Kataloge dazu abends vor dem Einschlafen lesen. Russell Crowe spielt darin einen Investment-Banker aus London, einen zu Beginn ganz harten Knochen, der nichts dagegen hätte, sein Herz durch einen Taschenrechner ersetzen zu lassen. Gerade hat er mal wieder ein nur knapp legales Millionengeschäft durchgezogen, als ihn die Nachricht ereilt, dass sein Onkel Henry (Albert Finney), Weingutbesitzer in der Provence, verstorben ist. Mangels Testament wird der Broker als nächster Verwandter zum Alleinerben erklärt. Als Kind hatte er auf ebendiesem Gut regelmäßig seine Sommerferien verbracht und dort die Lebensweisheiten des exzentrischen Onkels eingesogen, die er in der kalten Erwachsenenwelt, wie ein moderner Peter Pan, wieder vergessen musste. Mit dem Vorsatz, aus dem Verkauf des heruntergekommenen Gutes maximalen Profit zu schlagen, begibt er sich nach Frankreich, um dort jedoch, man ahnt es schon, zu den guten Dingen bekehrt zu werden.
„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ trifft auf „Sideways“: Rotwein, Sonnenuntergänge und die Bekanntschaft mit der Dorfschönsten (Marion Cotillard) reiben dem Hartherzigen so lange die güldenen Kindheitserinnerungen unter die Nase, dass er schließlich milde wird. Bis das arrogante Alphamännchen allerdings so weit ist, Mobiltelefon und Organizer für Bordeaux und Strohhut aufzugeben, vergehen zwei ganze Filmstunden, während denen man vor allem über der Frage grübeln darf, warum um alles in der Welt jemandem, dessen Rentenkasse ohnehin prall gefüllt ist, die Entscheidung zwischen London (stahlgraue Fassaden, Dauerregen, Haifischbecken) und Frankreich (mit der Harley über staubige Pisten brettern, gegen knarzige Winzer Tennis spielen und gewinnen, von der Terrasse des Château aus die eigenen Weinhügel betrachten) schwer fallen kann.
Allen Beteiligten hat die filmische Umsetzung einer simplen Botschaft – Savoir vivre schlägt Big Business – sichtlich Freude bereitet. Peter Mayle, Autor der Buchvorlage, war jahrelang in der Werbebranche tätig, bevor er beschloss, Romancier zu werden und sein Provence-Faible in Gestalt mehrerer Bücher publik zu machen. Regisseur Scott, selbst Besitzer eines Weingutes in Südfrankreich und Mayle seit seinen Zeiten als Werbefilmer freundschaftlich verbunden, brachte ihn auf die Idee der Filmvorlage. Albert Finney scheint seit seinen Auftritten in „Ocean's Twelve“ und „Big Fish“ auf die Rolle des mythischen und lebensfrohen Übervaters gebucht, und Russel Crowe ist es gestattet, in einer entspannt komödiantischen Rolle einmal nicht den introvertierten Melancholiker geben zu müssen. Mit seinen weichgezeichneten Provence-Bildern ist „Ein gutes Jahr“ so nett und harmlos und unwirklich zugleich anzusehen, dass man die ganze Zeit das Gefühl nicht los wird, dass Crowe plötzlich schweißgebadet in einem unbequemen Londoner Designerbett aufwacht, um erleichtert festzustellen, dass alles nur ein böser Traum gewesen ist, schließlich ist für ein Arbeitstier wie ihn das Wort „Urlaub“ eine handfeste Beleidigung. Weil das nicht passiert, darf man das Kino mit dem Gefühl verlassen, dass das Leben irgendwie angenehmer sein könnte, hätte man jede Menge Kohle, lauter schöne Menschen um sich, ein eigenes Schloss und dreihundert Sonnentage im Jahr.
DIETMAR KAMMERER
„Ein gutes Jahr“, Regie: Ridley Scott. Mit Russel Crowe, Marion Cotillard u. a., USA 2006, 118 Min.