9. - 13. September 2024
Herrnhut (Oberlausitz)
mit taz-Redakteur Thomas Gerlach
Zum Programm gehören Ausflüge nach Görlitz und Bautzen, Treffen mit einem sorbischen Schriftsteller und mit dem ehem. Bürgermeister von Nebelschütz, einem Dorf, in dem auch im Alltag sorbisch gesprochen wird. Sie lernen eine Region kennen, die mehrfach Rückzugsgebiet für utopische Ideen war: für Herrnhuter Pietisten wie für DDR-Oppositionelle. In den Gesprächen vor Ort geht es auch um das aktuelle politische Umfeld: die AfD erzielt hier Spitzenwerte. Die Reise endet in Bautzen.
Themen der Reise
Willkommen in der Oberlausitz, eine der schönsten Gegenden Deutschlands und eine der randständigsten dazu. Selbst von Dresden aus ist die Oberlausitz ein fernes Stück Sachsen. Im Herbst 2017 kam die Oberlausitz ganz groß raus, allerdings negativ - als die Region, in der die AfD bei der Bundestagswahl ihren größten Erfolg feierte. In den Landkreisen Görlitz und Bautzen wurde sie stärkste Partei. 2021 festigte die Partei ihre Position. Die Oberlausitz – eine AfD-Hochburg? Das auch. Doch es gibt auch andere Perspektiven.
Aktivitäten
So randständig, auch im politischen Sinne, wie die Region heute erscheint, so offen war sie über Jahrhunderte. Görlitz war und ist das Tor nach Schlesien, ein Begriff, der zu DDR-Zeiten peinlichst vermieden wurde, weil er als „revanchistisch“ galt.
Und von Herrnhut aus, jener barocken Gründung des frommen Grafen Zinzendorf, kommt man nach Prag genauso schnell wie nach Dresden. Konkurrierende Mächte, unterschiedliche Kulturen, Sprachen und Konfessionen haben die Oberlausitz geprägt. Sogar ein Papst war schon hier, wobei Karel Wojtyla „nur“ Kardinal war, als er 1975 die katholischen Sorben besuchte.
Und trotzdem war die Oberlausitz niemals nur Brücke, sondern immer auch Rückzugsraum, Nische, Labor. Großhennersdorf galt vielen zu DDR-Zeiten als „gallisches Dorf“. Wie es dazu kam, dass ein kirchliches Heim für geistig Behinderte junge, widerständige Leute aus der ganzen DDR anzog, darüber kann Andreas Schönfelder berichten. Kurzum, es ist Zeit, die vielen Facetten der Oberlausitz wahrzunehmen. Die AfD ist eine davon, nur eine.
Wir treffen uns im Komensky-Gästehaus der Brüdergemeine in Herrnhut (Anreise-Infos am Schluss). Beim Abendessen lernen wir uns kennen und werfen einen Blick auf das Programm der kommenden Tage. Morgen bleiben wir in Herrnhut und Umgebung. Spannend wird es, weil sich hier zwei, ganz unterschiedliche Epochen und Haltungen verbinden – Barock und DDR-Sozialismus, Frömmigkeit und Widerstand.
Als die Nachfahren der protestantischen Hussiten in Böhmen von der katholischen Gegenreformation bedrängt wurden, gewährte Reichsgraf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700 – 1760) den Glaubensflüchtlingen Schutz. 1722 gründeten sie Herrnhut. Der Ort wurde Zentrum der Herrnhuter Brüdergemeine, die sich durch die Förderung von Wirtschaft und Bildung hervortat.
Vor allem aber war er Ausgangspunkt weltweiter missionarischer Aktivitäten, die bis heute nachwirken. Anders als bei den Großkirchen, wo die Taufe oft mit kolonialer Besitzergreifung einherging, begriffen die Herrnhuter Mission als etwas, was unserer Idee von Entwicklungshilfe nahekommt. Im Kirchsaal, dem Versammlungsraum der Gemeinde, können wir uns im Missionsmuseum von diesem Ansatz überzeugen.
Anschließend führt uns unser Begleiter Andreas Schönfelder zum Gottesacker und hinauf auf den Altan, einem Aussichtsturm von 1790. Vor uns liegt Herrnhut, dahinter aber geht der Blick tief hinein in das Dreiländereck, nach Liberec mit seinem Hausberg Jeschken, zum Isergebirge, allerdings auch nach Turów, zu den Dunstschwaden des zweitgrößten polnischen Kohlekraftwerks.
Von Herrnhut geht es mit dem Bus ins benachbarte Großhennersdorf. In diesem hintersten Winkel der DDR suchten unangepasste Jugendliche, weit weg von Ost-Berlin eine Nische im Katharinenhof, einer diakonischen Einrichtung. In seinem Umfeld gedieh wider-ständiges Leben. Andreas Schönfelder gehörte auch dazu. Die Umweltbibliothek, die er 1987 gründete, hat sich seit der Wende zu einem geistig-kulturellen Zentrum weiterentwickelt.
Andreas Schönfelder wird uns durch die Umweltbibliothek führen. Doch die alte Bäckerei bietet mehr. Es gibt ein Programmkino und dazu ein Café mit veganen Speisen. Dort werden wir zu Mittag essen. Wie schwierig Bildungsarbeit in einer Region ist, die seit Jahrzehnten unter Abwanderung leidet und wo die AfD heute Spitzenwerte erzielt, weiß Andreas Schönfelder auch. Er wird von dem Spannungsfeld berichten, von alten SED-Eliten und neuen Demagogen.
Eine architektonische Besonderheit der Region sind die Umgebindehäuser, die deutsche und slawische Stile verbinden und somit das verkörpern, wofür Intellektuelle wie Schönfelder stehen - das gemeinsame Erbe als Schatz zu begreifen. Eines dieser Häuser werden wir besichtigen.
Für den Rückweg gibt es zwei Varianten, eine bequeme und eine naturverbundene. Wer müde ist, kann mit dem öffentlichen Bus nach Herrnhut zurückfahren. Wer noch Kräfte hat, folgt für den Rückweg dem etwa drei Kilometer langen, idyllischen Zinzendorf-Skulpturenpfad. Er führt über Wiese, Wald, einem Teich und vielen Plastiken, die sich mit der Lebensgeschichte von Zinzendorf befassen, zurück ins Komensky-Haus, wo wir zu Abend essen.
Etwa 60.000 Sorben soll es noch in Sachsen und Brandenburg geben, nicht mehr alle sprechen Sorbisch. Am Mittwoch fahren wir mit einem Mietbus in ein Dorf, wo Sorbisch gesprochen wird. Nebelschütz/Njebjelcicy mit seinen 420 Einwohnern liegt im Gebiet der katholischen Sorben. Thomas Zschornak, dreißig Jahre lang Bürgermeister (bis Frühjahr 2022), wird uns durch das Dorf führen.
Nebelschütz hat ökologische Landwirtschaft, einen Hofladen als Treff, einen Fußballverein, eine Garnelenzucht, einen alten Steinbruch und jede Menge neuer Ideen. Zu Zschornaks Lieblingswörtern gehört nicht zufällig das Wort „enkeltauglich“.
Es geht aber auch auf anderer Ebene voran: Das Volk der Sorben hat sich 2018 erstmals eine gewählte Vertretung gegeben und Zschornak ist einer ihrer Abgeordneten. Die Sorben sind ein Schatz für die deutsche Mehrheitsgesellschaft und nebenher Brückenbauer zu unseren slawischen Nachbarn. Im Nebelschützer Steinbruch, wo alljährlich Bildhauer zu einem Pleinair zusammenkommen, essen wir zu Mittag.
Weiter geht es mit dem Bus durch das „Land der tausend Kreuze“ wie die Region auch genannt wird. Dreihundert davon stehen auf dem Friedhof von Ralbitz/Ralbicy. Wir werden den Ort besuchen, bei dem alle Kreuze aus einer Werkstatt stammen, die in dritter Generation von der Familie Dyrlich/Dürlich betrieben wird. Derzeitiger „Herrgott-Schnitzer“ ist Nikolaus. Sein Bruder Benedikt sollte Priester werden. Stattdessen hat sich Dyrlich als Kulturpolitiker, Journalist und vor allem Schriftsteller einen Namen gemacht. Er ist einer der bekanntesten Vertreter der sorbischen Literatur.
Wir treffen ihn in Bautzen, der „Hauptstadt“ der Sorben. Zunächst wird uns Benedikt Dyrlich die Altstadt zeigen. Dann kehren wir mit ihm in das sorbische Restaurant „Wjelbik“ ein, wo uns die Familie Lukasch mit einem Sorbisches Hochzeitsessen bewirten wird. Danach kommen wir mit Benedikt Dyrlich ins Gespräch - über die reiche, aber weithin unbekannte sorbische Literatur. Natürlich wird er auch eigene Texten lesen, auf Sorbisch und Deutsch, Dyrlich schreibt stets zweisprachig. Am Abend geht es per Bahn und Bus nach Herrnhut zurück
Am Donnerstag reisen wir nach Görlitz. Jakob Böhme lebte hier. Seine „Aurora oder Morgenröte im Aufgang“, die der mystisch inspirierte Schuster 1612 verfasste, war das erste philosophische Werk in deutscher Sprache. Böhmes Wohnhaus liegt am Ostufer der Neiße im polnischen Zgorzelec. Das Haus ist Endpunkt eines Spaziergangs, der vorbei am Jugendstil-Kaufhaus, über den Ober- und Untermarkt und die Altstadtbrücke nach Polen führt.
In der Dreiradenmühle können wir gut polnisch zu Mittag essen. Danach werden wir das Schlesische Museum besuchen. Es erzählt von der Geschichte und Kultur dieser multikulturellen Region, aber auch von Verlust und Vertreibung.
Die Doppelstadt Görlitz/Zgorzelec ist ein architektonisches Kleinod, durch Kriegsfolge, Teilung und Randlage aber eben auch eine geschundene Stadt und eine politisch unruhige dazu. Wie kann man trotzdem gesellschaftlich aktiv werden? Wie die Grenze überwinden und eine gemeinsame europäische Zukunft gestalten? Vertreter der Görlitzer Zivilgesellschaft werden uns davon erzählen. Danach geht es zurück nach Herrnhut, wo wir wieder zu Abend essen.
An nächsten Morgen verabschieden wir uns nach dem Frühstück von Herrnhut und fahren noch einmal nach Bautzen. Dort erwartet uns in der ehemaligen Stasi-Haftanstalt Bautzen II ein Stück harte DDR-Realität. Der Name Bautzen hatte zu DDR-Zeiten einen düsteren Klang.
Der Besuch von Bautzen II ist auch über dreißig Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur noch eine emotionale und seelische Zumutung. Aber er ist notwendig, um die Risse und die Brüche in diesem wunderschönen Landstrich zu verstehen. So schließt sich der Kreis – und so schließt sich die Reise. Utopie und Dystopie liegen oft dicht beieinander, so auch in der Oberlausitz. Nach einem Mittagessen endet die Reise am Bautzener Bahnhof.
Beginn und Ende der Reise
Wir treffen uns am Montag, den 9. September, um 18 Uhr im Komenský Gästehaus in Herrnhut (Oberlausitz).
Von Bautzen gibt es jede Stunde (z. B. 16:20 Uhr) eine Zugverbindung nach Löbau (15 Min.), dort Umsteigen in den Bus Nr. 10 nach Zittau, der nach 20 Minuten in Herrnhut hält.
Ende der Reise: Freitag, 13. September, gegen 14 Uhr am Bahnhof in Bautzen.
Reiseleiter:
Thomas Gerlach
taz-Redakteur seit 2009 (aktuell im Ressort Recherche und Reportage) sowie Autor;
1982 Mechanisator in einer LPG, 1992 Diplom-Theologe nach Studium in Leipzig und Bochum
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