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■ Herr Thömmes über einen Waldspaziergang am frühen MorgenDer Vogel hat seinen Lockruf, der Mann sein Cabriolet

Ich singe, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet; das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet.

Johann Wolfgang v. Goethe

Morgens um Halbfünf sind nur Autodiebe unterwegs und Zeitungsboten. Um diese Jahreszeit außerdem noch Hobby-Ornithologen. Die Freunde der Vogelbeobachtung müssen nämlich früh aus den Federn.

Blöderweise sind Amsel & Drossel gerade dann quietschfidel, wenn im Radio noch das Nachtprogramm läuft. Während die Stadt ruht, ist im Wald schon die Hölle los. Kein Mensch weiß genau, warum die Vögel morgens nicht länger den Schnabel halten können, vermutlich haben sie einen komischen Biorhythmus. (Nur der gemeine Schluckspecht verhält sich antizyklisch und fällt um diese Uhrzeit stumm ins Nest.)

Eiei, ertönt dort nicht von hoher Warte herab die Stimme des Schwarzstirnwürgers, oder ist es der Karmingimpel? Falsch. Dieses kurze und harte „tek tek“, gefolgt von einem weichen „djü“, gehört dem Rotkehlchen. Solche feinen Differenzierungen erlernt, wer einen vogelkundlichen Morgenspaziergang unter Leitung einer ornithologischen Fachkraft mitmacht, wie er z.B. im Darßer Nationalpark angeboten wird, an der Ostsee zwischen Rostock und Stralsund.

Tatsächlich hat der Städter ja wenig Kenntnis vom Vogel. Er kennt ihn vornehmlich als Taube, die durch ihren Kot wertvolle historische Gebäude vernichtet, quasi in Grund und Boden scheißt. Oder als Wellensittich von Tante Thea.

Dann heißt der Vogel „Hansi“ und flüchtet vor den Liebkosungen bisweilen auf die Gardinenstange. Es kann auch passieren, daß Hansi durchs offene Fenster fliegt und ein Opfer von Nachbars Katze wird, noch ehe Tante Thea die Zettel mit seinem Steckbrief und dem ausgelobten Finderlohn an die Bäume geheftet hat.

Nun aber flugs hinein in den Wald und die Gunst der frühen Stunde genutzt. Ach, was für ein Trillern und Pfeifen, Zwitschern und Fiepen, Krächzen und Flöten, Scheppern und Zirpen. Frühling!

Im Geäst sitzen die Vogelmänner und lassen ihre Stimme erklingen (die Frauen bleiben meist stumm). Durch den Gesang steckt jeder Vogel sein Revier ab: Hier bin ich! Weg da! Alles meins! Die Größe des Reviers richtet sich nach dem Nahrungsangebot, es kann einen Hektar oder auch zehn betragen. Bald wird es ruhiger werden hier, dann haben die Vogelmänner mit dem Brutgeschäft alle Schnäbel voll zu tun. Noch aber locken sie mit ihren Rufen die Damen an; es gilt, Eindruck zu schinden. Wer fit ist und lauter singen kann, hat als erster ein Weibchen im Nest. Die Menschen haben zum selben Zweck das Cabriolet und die Rolexuhr erfunden.

Obacht! Vorn hebt der junge Biologe mit dem „Nationalpark“- Schildchen am Anorak den rechten Zeigefinger. Hört ihr's?, deutet er so unserer Gruppe aus 26 Frühaufstehern. „Tette-tet“, „zerr“. Der Biologe blickt beseelt und flüstert: „Zaunkönig.“

Mit dem Zaunkönig hat es eine eigenartige Bewandtnis. Er baut mehrere Nester, ehe er eine Gattin anlockt. Dann führt er sie zum ersten Nest, wo sie nur kurz mit dem Kopf schüttelt: Hängt zu hoch! Das zweite Nest ist ihr nicht weich genug, das dritte zu dunkel, beim vierten findet sie die Statik nicht okay. Ja, es kann passieren, daß der Zaunkönig von Neuem anfangen muß zu bauen, will er die Gunst der Gattin nicht verlieren.

Von dieser vogeligen Eigenart hat Joachim Bürger die Theorie abgeleitet, Männer würden von Frauen unterdrückt und ausgebeutet. Seitdem zieht er damit als sogenannter Berufsmacho von Talkshow zu Talkshow, ohne urheberrechtlich auf den Zaunkönig zu verweisen, und lebt gut davon; nur Margarethe Schreinemakers hat Bürger nach seinem ersten Wort rausgeworfen, weil sie mit einem derart schrägen Vogel gar nicht reden wollte.

Das eigentliche Problem bei der Vogelbeobachtung ist ein jahreszeitliches Paradox. Am Besten wäre es, Vögel würden im Winter singen, wenn kein Blattwerk dem Ornithologen die Sicht versperrt. Dann könnten kleine Details wie die Farbe der Füße bei der Identifizierung des Piepmatzes helfen. Aber nein, es muß partout geträllert werden, wenn's im Walde grünt und Laub unsere kleinen gefiederten Freunde verhüllt.

Nirgends nichts zu sehen, und als endlich ein Wintergoldhähnchen auf der Spitze einer abgestorbenen Eiche sitzt, ist es auch schon wieder weg, noch ehe das Fernglas aus der Schutzhülle genestelt war. Vögel sind furchtbar flatterhaft.

Sehr viel einfacher wäre es, eine Königspython zu beobachten, womöglich eine vollgefressene. Man könnte zwischendurch Kaffee trinken, ein Wochenende in die Berge fahren, und sie läge immer noch da, den Kopf 1,8 Zentimeter nach rechts gerückt, was im Rahmen der Langzeitstudie in einer Kladde vermerkt würde. Dann ginge... Obacht! Der Biologe reckt den Finger unterm hellen Grün der alten Buchen. Singt dort nicht, „tittitirr“... – der Kleiber? O doch. Er nistet gern in den Höhlen des Spechts, und wenn ihm der Eingang zu groß ist, verklebt er die Ränder mit nassem Sand und Lehm. Schon manch brütender Vogel wurde so bei lebendigem Leib eingemauert: Tragödien, von denen nichts in der Zeitung steht.

Noch immer tobt ringsum Vogelgeschrei. Der Biologe gibt vor, einen Waldlaubsänger herauszuhören, auch die Mönchsgrasmücke, Tannenmeise, Baumpieper, Buchfink, Schwarzspecht und Singdrossel. Den Unkundigen aber klingt alles gleich, wild wird in Bestimmungsbüchern geblättert: „Europas Vögel“, „Singvögel in Deutschland“. Vergebens.

Das macht nichts. Der eigentliche Sinn des Spaziergangs besteht im Grunde auch darin, Stechmücken zu füttern. Dunkle Wolken umschwirren Kopf und Beine, unzählige Rüssel versenken sich im Menschenfleisch und saugen. Geduldig hält der Biologe inne und sagt, diese Tiere seien ein wichtiger Teil der Nahrungskette, je mehr es gäbe, desto gesünder die Natur.

Und hat es die Mücke nicht schwer? Wasser suchen zur Eiablage, Mann suchen, Blut suchen für die Brut, vom Vogel gefressen werden. Ein leichtes Leben ist das nicht, das leuchtet ein.

Trotzdem, allein der Zilpzalp wächst einem an diesem Morgen so recht ans Herz. Nicht nur, weil er – Zilpzalp – einen ausgesprochen vogeligen Namen hat, er ruft ihn auch noch selbst: „zilpzalp.“ So macht er es dem Laien ornithologisch einfach. Warum zwitschert der Zwergschnäpper nicht ein keckes „zwergschnäpper“? Warum wetzt der Schlagschwirl sein „dzedzedzedze“ statt einem munteren „schlagschwirl“? Die Vogelwelt könnte so einfach sein, wenn sich alle am Zilpzalp ein Beispiel nehmen würden. Herr Thömmes

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