■ Herr Lohmann – Wirtschaftsfaktor und Betörer der Frauen: Barhäuptig volltanken in freier Natur
Herr Lohmann ist in unserem Viertel eine stehende, wenn auch zuweilen leicht schwankende Einrichtung. Was den Alkohol betrifft, ist er ein Mann von geradezu rätselhaften Nehmerqualitäten. Bier ist ja kein Alkohol, behauptet Herr Lohmann. Und für sich gesprochen hat er recht. Herr Lohmann kann einen ganzen Kasten Pils wegziehen, ohne die geringste Wirkung zu zeigen. Was er beruflich gemacht hat, ist nicht immer ganz klar. Mal hat er „auf'm Amt“ gearbeitet, mal war er „bei der Regierung“. Aber ich habe ihn auch schon ausrufen hören: „Ich war die rechte Hand von Willy Brandt!“
Klar ist: Herr Lohmann ist ein ausdauernder Nutzer unserer heimischen Wasserhäuschen, er ist ein Wirtschaftsfaktor im Kioskbereich. Selbst im Winter schüttet er barhäuptig den eiskalten Saft zügig in sich hinein. In Pinten geht er nicht. „Bin mehr für die Natur“, sagt Herr Lohmann. Wenn seine Tränke schließt, dreht er noch ein paar Runden um den Block, und man kann dann hören, wie er vor Madagaskar lag.
Das Problem ist „meine Alte“, sagt Herr Lohmann. „Seit sie's an der Leber hat, Rotwein komplett gestrichen. Ein Drama! Unser Heim“, schließt er düster, „ist eine einzige Wüste.“ Vollgetankt läßt Frau Lohmann den Gatten nur ungern in die Wohnung. Sie steckt einfach innen den Schlüssel ins Schloß, und Herr Lohmann mußte schon manche Nacht lang das deutsche Liedgut bemühen, bis die Polizei erschien und Einlaß erzwang. „Und kaum bin ich drin, prügelt sie gleich auf mich ein“, sagt Herr Lohmann verbittert, „mit allem, was ihr in die Finger kommt. Letztens hat sie das letzte Meißener auf mir zerschlagen, am ganzen Körper blau war ich. Gewalt gegen Männer“, sagt Herr Lohmann, „finde ich unweiblich.“
Die veränderten Trinksitten sind nicht der einzige Grund, daß der Haussegen schief hängt. „Dauernd macht er mit den Weibern rum“, murrt Frau Lohmann, „ich klatsch' ihn noch mal an die Wand. Seit seinem Siebzigsten wird das immer doller mit ihm. Früher war der Erich ein ganz scheuer Hase. Seit dem Ozon ist er wie ausgewechselt.“ „Sie meinen dieses Loch?“, frage ich. „Nee, nee“, sagt Frau Lohmann, „es is' das Bodenozon. Ich hab mich erkundigt, das geht auf die Drüsen.“
Die Weiber, das hat sie schon richtig beobachtet: Mit Herrn Lohmann ist der Gattung Frau ein Galan quasi der dritten Art zugewachsen. Nicht, daß er ihnen roh an die Wäsche geht, er plinkert ihnen bloß nach und beflirtet sie – von jung bis alt – ganz demokratisch. Er kennt sie fast alle mit Namen und kann sie alle noch auseinanderhalten. Und jeder macht er schöne Augen und zuweilen einfühlsame Geschenke. „Nun ziehen Se doch nicht so 'nen Flunsch“, begrüßte er mich neulich, und unter dem Arm hielt er einen unglaublich fetten Kater. „Damit Sie auch mal 'ne Freude haben“, sagte er und füllte mir den Dickwanst in den Einkaufsbeutel. „Aber das ist doch der Kater von Schmidts“, protestierte ich. „Bei denen frißt er nur“, beruhigte mich Herr Lohmann, „aber Sie liebt er, das spüre ich deutlich.“ Merkwürdig ist, seitdem er mir dieses Vieh feilbot, ist es wie verrückt hinter mir her, geht mit bis zur U-Bahn, schnarrt sich nachts vor dem Fenster die Kehle wund.
Die Blumenrabatten in der Nachbarschaft sind ganz kahlgerupft, weil Herr Lohmann sie verbraucht, um Frauen Freude zu machen. Ich habe ihn auch schon Damen ein Sträußchen Petersilie mit Schnittlauch kredenzen sehen. „Is' doch alles Natur“, sagt Herr Lohmann, „stimmt's, junge Frau?“ Und mit Kennerblick linst er auf meine Beine. „Läuft 'ne Masche bei Ihren Nylons“, sagt er, „müssen Sie Uhu drauf tun.“
Der Dorn in Frau Lohmanns Auge heißt Emmi. Emmi ist Witwe und Selbstversorgerin. In der abgeschabten Aktentasche von ihrem Ex schleppt sie jede Menge dieser Mini-Fläschchen mit sich, in denen es hochprozentig schillert in allen Farben. Schon morgens hocken sich Emmi und Herr Lohmann auf die Bank vom Plätzchen und eröffnen die Sitzung. Sie lassen sich keinesfalls hetzen dabei, das Leergut wird fein säuberlich im Halbkreis gestellt, so arbeiten sie sich systematisch durch den Tag. Zwischenzeitlich muß Herr Lohmann mal immer wieder zum Wasserhäuschen, wenn ihn der Durst übermannt. Frau Lohmann hat sich schon überlegt, „ob ich die Schlampe nicht vergifte, aber mit Salzsäure, unverdünnt“.
„Aber Frau Lohmann“, sag' ich, „das wäre ja Mord.“ „Na und“, sagt sie mit unerschütterter Logik, „da kann ich mir auch nichts von kaufen. Und Sie!“, das erregt sie nun doch, „seien Sie nur stille! Ich hab's doch gesehen, Sie fallen doch auf auf den rein, auf den Playboy!“
Da ist etwas dran. Auch wenn man manches gegen ihn einwenden kann: Ich finde, Herr Lohmann ist in unserem Viertel ein großer, wenn nicht der größte Betörer der Frauen. Und so ein Mann fehlt uns immer. Doris Becker
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