■ Herr Karasek. Morgens in der Potsdamer Straße, Berlin: Taschenbillard um halb zehn
Ich wußte es. Die Ampel springt auf Rot. Dann schaff' ich's wieder nicht. 3 Minuten 30. Die Zeit von der U-Bahn bis zum Tagesspiegel. Genau gestoppt. Wenn Pohl- und Kurfürstenstraße nicht Rot zeigen, dann: 3 Minuten 30. Oder ich lauf' einfach rüber. Aber das geht ja auch nicht. Neulich diese Wachtel: „Herr Karasek! Grüngänger leben länger! Sie konnen doch bei Rot nicht losgehen. Sie sind doch ein Vorbild fur die Jugend.“ Scheiß Jugend. Scheiß Jeans. Es drückt. Und ich krieg' ihn nicht in die richtige Lage. Warum kann ich nicht endlich wie jeder anständige Mann in meinem Alter vernünftige Hosen tragen? Hoffentlich kommt jetzt kein Kollege. Ich ertrag's nicht. Den ganzen Weg. Um halb zehn morgens.
3 Minuten 30. Endlich Grün. Vor kurzem hat sich erst wieder der Korrespondent aus L.A. über die Deutschen lustig gemacht, die an roten Ampeln stehen. Scheiß Deutsche. Amerika, Hollywood, James Dean...
2 Minuten 30. Diese widerliche Potsdamer Straße. Eines Tages klauen sie mir meine liebe, braune Ledertasche. Warum bin ich nicht in Hamburg geblieben? Pohlstraße – natürlich wieder Rot. Und? Na endlich erkennt mich jemand. Gestern war schließlich „Quartett“.
1 Minute 30. Warum bloß der Tagesspiegel? Ich Idiot. Die langweiligste Zeitung in ganz... Kann nicht endlich Böhme abkratzen? Ich übernehme „Talk im Turm“. Eine schöne, ruhige Fernsehsendung einmal in der Woche. Das war's. Und bei Ranicki aussteigen. Der Sack.
1 Minute 10. Grün. Oh nein, nicht ausgerechnet mitten auf der Straße... Husten, Husten, Husten... Kurze Pause vor McDonald's. Das kommt davon, wenn man morgens schon an Ranicki denkt. Igitt, was pendelt denn da an der Unterlippe? Wohin jetzt mit dem Schleim? Nicht der teure Kaschmirmantel. Auf dem Schwarz sieht man alles. Hand in die Tasche. Nur weiter. Es klemmt mir alles ab. Wie soll ich bloß den ganzen Tag in Jeans aushalten? Morgen kaufe ich mir eine Stretch Elasto.
30 Sekunden. Dieser Scheiß-Tagesspiegel. Reiß dich am Riemen. Klapp deine dicke Lippe nach oben. Jetzt nur noch freundlich. Sonst erzählt's der Portier dem Verleger. Ich kenn' den Mann. Dann kommt er mir wieder mit „Rerum cognoscere causas – gerade zu den Angestellten, Herr Professor.“ Die Pfeife. Heute werde ich erst mal was über James Dean schreiben. Guter Mann. Lächeln! Drehtür und hinein. Telepath: Michael Ringel
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