Herein, wenn’s ein Promoter ist!

Die amerikanische Musikindustrie wird gerade von einem Bestechungsskandal erschüttert: Promoter kauften ihren Platten den Weg ins Radio. ‚Payola‘ nennt sich diese Praxis, und sie ist älter als die Tonträgerindustrie. In Deutschland ist es allerdings billiger, sich auf anderen Wegen in die Charts zu mogeln

VON THOMAS WINKLER

Die Musikindustrie hat Angst vorm schwarzen Mann. Der schwarze Mann heißt Eliot Spitzer, übt in New York den Beruf des Generalstaatsanwaltes aus und hat an die Öffentlichkeit gezerrt, was in der Branche längst jeder weiß: Die Plattenfirmen in den USA bestechen die Verantwortlichen der Radiosender, damit ihre Produkte gesendet werden. Dieser Payola-Skandal ist nur das neueste Kapitel in einer langen und intensiv gepflegten amerikanischen Geschäftspraxis.

Der erste Unterhaltungsmulti, der öffentlich am Pranger steht, ist Sony-BMG. Die Staatsanwaltschaft deckte in einer Untersuchung, die ein ganzes Jahr dauerte, so Spitzer, „weit verbreitete und omnipräsente“ Machenschaften auf. Der japanisch-deutsche Konzern, der Stars wie Britney Spears oder Jennifer Lopez unter Vertrag hat, hatte die Programmdirektoren von Radiostationen massiv begünstigt und diese hatten freudig die unmoralischen Angebote angenommen. Geld und Unterhaltungselektronik wechselte den Besitzer, dafür wurden Playlists erweitert.

Das Sony-BMG-Sublabel Epic zahlte einem DJ aus Buffalo und dreien seiner Freunde einen Luxustrip nach Miami. Gegenleistung des DJs: Er nahm „Take Me Out“ von Franz Ferdinand in die Playlist seines Senders auf. Ein Epic-Promoter hatte eine E-Mail an einen Radiosender geschickt: „Was muss ich tun, um Audioslave diese Woche auf WKSS zu bekommen? Wovon immer Sie träumen, ich kann es wahr machen.“ Umgekehrt erhielt ein Sony-Mitarbeiter von einem Radio-Programmchef per E-Mail ein Angebot: „Suche Laptop, biete Promotion für Bow Wow.“ Ob die Plattenfirma in den zuletzt eher erfolglosen Rapper investieren wollte, ist nicht bekannt. Sicher aber ist, dass solche Praktiken üblich sind.

Sony-BMG einigte sich daraufhin außergerichtlich mit Spitzers Behörde: Das Label zahlt zehn Millionen Dollar Strafe und verspricht, seine gesetzeswidrige Praxis zu ändern. Ähnliche Vereinbarungen mit den restlichen Musikmultis Universal, EMI und Warner Music werden in den kommenden Monaten erwartet. Allerdings hat die US-Medienaufsicht FCC nun eigene Ermittlungen aufgenommen.

Payola ist sehr viel älter als die Firmen auf der Anklagebank. Bereits im 19. Jahrhundert, Schallplatte oder Radio waren lange noch nicht erfunden, bestachen Komponisten bekannte Vaudeville-Sänger, damit ihre Lieder in deren Programm aufgenommen wurden. In der goldenen Ära des Swing kassierten Bandleader für fast jedes Stück, das sie einstudieren ließen. In den Fünfzigern ermittelte ein Kongress-Ausschuss gegen Radio-DJs, die Geld und wertvolle Geschenke von Plattenfirmen angenommen hatten – der Bestechungsskandal beendete damals die Karriere des legendären Radio-DJs und Rock-’n’-Roll-Wegbereiters Alan Freed.

Das Wort „Payola“, zusammen gesetzt aus „pay“ und der Grammophon-Marke „Victrola“, wurde geboren und 1960 ein Gesetz verabschiedet, um solche Praktiken ausdrücklich zu unterbinden. Fortan lagerten die Plattenfirmen die Bestechung aus: Unabhängige Promoter versorgten vor allem in den Siebzigern die Radioverantwortlichen mit Drogen und Prostituierten. Eine Praxis, die bis heute üblich ist, glaubt man Daniel Lorca, dem Bassisten der Indie-Band Nada Surf: „Der Job von Promotern ist es vor allem, Radio-DJs in Strip- Clubs auszuführen.“

In Deutschland gibt es kein ausdrückliches Anti-Payola-Gesetz wie in den USA, hier müssten schon die Strafgesetzbuchparagrafen gegen Bestechung und Vorteilsnahme greifen. Für Schleichwerbung ist schon die Rundfunkaufsicht selbst zuständig. Methoden wie in den USA mögen im Einzelfall vorkommen, sind aber keinesfalls so weit verbreitet. Denn in den USA ist die Radiolandschaft schon wegen der verschiedenen Zeitzonen zersplitterter als in Deutschland und trotz der großen Ketten von kleineren, unabhängigen Lokal- und Collegeradios geprägt. So ist sie anfälliger für Bestechung als die großen, vergleichsweise unbeweglichen öffentlich-rechtlichen Anstalten hierzulande oder die Privatsender, die meist größeren Konzernen gehören. Wahrscheinlich ist es in Deutschland, wie der Skandal um das Popsternchen Gracia zeigte, sogar kostengünstiger, sich mit massiven Plattenkäufen in die Charts zu bescheißen, als flächendeckend Radios zu bestechen. Allerdings: Der ARD-Skandal um die Sportreporter Ehmig und Mohren hat gezeigt, dass auch in Deutschland allerhand möglich ist.

Aber wo genau fängt die Vorteilsnahme an? Dass Journalisten die CDs, über die sie schreiben, umsonst bekommen? Dass der Kaffee beim Interviewtermin übernommen wird? Oder erst wenn, wie in den USA geschehen, ein Laptop den Besitzer wechselt? Diese Grauzone wird in Deutschland gefüllt mit Medienkooperationen und Sponsoring, Gewinnspielen und Exklusiv-Konzerten. Natürlich reisen Promoter mit neuen Songs und einem Spesenbudget im Gepäck durch die Republik und klappern die Sender ab, verfahren dabei aber lange noch nicht so dreist wie die Pharmaindustrie mit ihren Referenten.

Dass Journalisten zum Interview auf Kosten der Plattenfirma in die USA geflogen werden, ist nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit, kommt aber vor. Dass Promoter und Radio-DJ zusammen Urlaub machen, kann ja schon mal passieren, weil man sich in Ausübung des Berufes angefreundet hat. Und dass in der Musikpresse Plattenbesprechungen und Features mitunter nur geschrieben werden, wenn auch eine Anzeige geschaltet wurde, ist ein offenes Geheimnis in der Branche.

Dass es 40.000 bis 50.000 Euro kostet, einen Act auf dem Titel des WOM-Magazins zu platzieren, ist sogar völlig legal, weil das Blatt medienrechtlich als kostenloses Kundenmagazin fungiert, auch wenn es in der Aufmachung den Eindruck einer unabhängigen Publikation zu vermitteln versucht. Umgekehrt bekommt ein Musiksender den neuesten Videoclip des Superstars nur dann exklusiv zur Ausstrahlung überlassen, wenn auch die neuesten Ergüsse bislang weniger erfolgreicher Künstler des Labels weggesendet werden. Der Musikfernsehsender Viva, so kam Ende 2003 heraus, reservierte gegen Geld und Gewinnbeteiligung Sendezeit für den Major Universal. Und wurde der Start von Viva nicht gleich von den deutschen Dependancen der großen Plattenfirmen selbst finanziert?

In Internet-Blogs melden sich schon erste Stimmen, die eine Play-for-Pay-Praxis in Deutschland geradezu herbeisehnen. Denn dann, so die zwischen ironisch und irrig schwankende Annahme, könnten womöglich endlich auch einmal Songs ins Programm der Formatradios gelangen, die bisher von den ganz auf sicher gehenden Playlists, mit denen der Mainstream-Hörer vor allem nicht verschreckt werden soll, tunlichst gemieden werden.