Helmut HögeWirtschaftsweisen: Größere Aufträge
Wenn das lokale Tiefbauunternehmen im Vogelsberg dem Bürgermeister mitteilte, es müsse wegen Auftragsmangel im Winter neun Leute entlassen, setzte der durch, dass die Kurve am Berg „entschärft“, also verbreitert wurde. Und prompt war die Strukturkrise im Baugewerbe überwunden.
Der genialste Coup gelang dem seltsamen Konzern-Trio Osram, Philips und Greenpeace in Brüssel: Weil auch in Billiglohnländern inzwischen Glühbirnen produziert werden, schafften sie es, bei der EU einen so genannten Komitologie-Ausschuss für Beleuchtung zu bilden und am Parlament vorbei ein allgemeines Glühbirnenverbot zu verhängen – zugunsten ihrer umweltschädigenden und zudem völlig überteuerten „Energiesparlampen“. Dann wurden auch noch die Halogenlampen von der EU verboten, und die Energiesparlampen langsam von der nächsten Lichtgeneration verdrängt: den Leuchtdioden, die immer heller und billiger wurden – und immer schädlicher für unsere Augen. Und je heller, desto weniger lange leuchten sie. Bis zu dem Punkt, da es sich für die Lampen- und Leuchtenhersteller lohnte, die LEDs fest in ihre Designobjekte zu integrieren, d. h., wenn die Leuchtdiode ihren Geist aufgab, musste man die Lampe – wahrscheinlich auch noch als „Sondermüll“ – entsorgen. Und der Müll gelangte dann wohlmöglich bis nach Ghana.
Giftige Geschäfte
Über diesen Elektroschrott-Skandal hat Cosima Dannoritzer den Film „Hergestellt für den Müll“ gedreht, in einem zweiten Film „Giftige Geschäfte“ verfolgte sie mit einem ghanaischen Kulturhistoriker zusammen den Weg einiger Elektroschrottteile zurück zu dem Ort, wo sie aus den Recyclingsystemen des Landes, im Film ist es England, herausgenommen und nach Afrika verschifft wurden. Bei einer Untersuchung der Stiftung Warentest kam heraus, dass man bei fast 50 Prozent aller Leuchten nicht mehr die LEDs auswechseln kann.
Ich komme aus Bremen und da gab es eine „Strukturkrise“ der Werftindustrie, vor allem der großen Vulkan-Werft – keine Schiffsbauaufträge mehr, die gingen in die Billiglohnländer. Es standen viele Arbeitsplätze auf dem Spiel. Deswegen gründete der Bremer Senat schnell eine eigene Reederei: die „Senator-Linie“. Und diese vergab fortan Aufträge an die Vulkan-Werft. Das klappte wunderbar. Nur mussten für die Transportschiffe auch Waren akquiriert werden – von der Reederei. Das lief nicht so gut, denn es kamen dafür immer mehr Schiffe aus Billigfrachttarifländern in Betracht. Nach der Wiedervereinigung hatten die Senatoren und die Vulkan-Chefs eine neue Idee: Sie erwarben günstig eine DDR-Werft nach der anderen von der Treuhandanstalt – und bekamen dazu Zigmillionen für deren Modernisierung. Diese Gelder leiteten sie um zu den Bremer und Bremerhavener Vulkan-Werften. Das ging nicht gut aus. Aber es musste ja weitergehen.
Bremen versuchte nach der Vulkan-Pleite die Werftimmobilien zu verwerten: mit einem „Space-Park“ – einem „galaktischen Ausflugsziel“ (Der Spiegel). Daraus wurde bereits nach sieben Monaten „eine der größten Pleiten der Hansestadt“.
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