■ Heißester Frühling seit dem Revoltejahr 1968: Rote Augen, pralle Brüste
Berlin (taz) – Sonne, Hitze, Trockenheit – der Wissenschaftsjournalist Manfred Kriener ist hochzufrieden. „Gerade mediterrane Kräuter“, sagt der passionierte Hobbykoch, „gedeihen derzeit prächtig.“ Ein Blick auf seine kleine Kräuterecke – Berlin- Kreuzberg, 5. Stock, Südlage – zeigt saftiges, sattes Grün: Thymian, Rosmarin, vor allem aber Lavendel sprießen, als sei's der Garten Eden.
Auch weiter südlich schießt die Natur ins Kraut, Grund: die frühe Wärme. „Im Weinberg“, meldet Albert Ingelfinger, Kellermeister des rennomierten schwäbischen Weinguts Graf Adelmann, „ist die Sau los.“ Die Reben treiben aus, noch ehe fleißige Hände sie hochgebunden haben.
Landauf, landab ziehen in diesen Tagen die Menschen leichte Sommerkleidung aus dem Schrank, erstaunlicherweise aber ist der Norden Zentrum der warmen Welle. „Der Höhepunkt“, sagt Dipl.-Meteorologe Detlev Schulz vom Wetteramt Berlin, „liegt zwischen Elbe und Oder.“ 28,1 Grad Celsius wurden am Montag gemessen, auch gestern registrierten die Wissenschaftler einen „Sommertag“ (über 25 Grad), Abkühlung ist nicht in Sicht. „Sehr ungewöhnlich“ nennt Schulz eine „solche Folge von Sommertagen im April“. Das letzte vergleichbare Jahr, erinnert sich der Klimatologe Prof. Malberg von der FU Berlin, „war 1968“ – mit dem Gedenken an den Aufbruch der studentischen Revolte kehren auch die äußeren Begleitumstände wieder. Damals allerdings gab es sogar „Tage mit über 30 Grad“ (Malberg). Hat das Auswirkungen auf die politische Großwetterlage der Stadt, auf NOlympics-Bewegung und Hauptstadtplanung? Der Senat schweigt, auch mit einer Bauernregel läßt sich das Phänomen nicht greifen: „Die zielen“, weiß Spezialist Malberg, „auf die Wechselhaftigkeit dieses Monats.“ Etwa: Aprilwetter und Kartenglück wechseln jeden Augenblick.
Das Vergnügen des Kleingärtners Kriener jedenfalls ist nicht nur von kurzer Dauer. Wenn sich auch Wissenschaftler noch scheuen, von einer „Klimaverschiebung“ zu sprechen, die Indikatoren für künftigen Berliner Lavendelanbau sind günstig: Die wärmsten fünf Jahre seit Beginn der Temperaturmessungen wurden innerhalb der vergangenen zwölf Jahre erreicht; um ein Grad erhöhte sich die Durchschnittstemperatur; Wein in Deutschland wird, Sonne sei Dank, immer gehaltvoller, die erreichten Alkoholgrade steigen.
Dem Menschen gerät dies nicht alles zum Pläsier. Schon mahnt Bild: „Sonnen-Schock!“ Wenn die Natur zum dialektischen Veitstanz ansetzt – unten zuviel Ozon, oben zuwenig – droht Ungemach: „Rote Augen. Neue Allergien. Busen schwellen.“ Um exakt 100 Gramm, hat das Blatt den östrogenen Drall- Effekt nachgewogen und einen ärztliche Herz-Kreislauf-Lunge- Ratgeber zusammengestellt, in Kurzform etwa: Vorhänge zuziehen, bei kalter Dusche Beine hochlegen und Kiwi essen. Einige Sportler haben bereits Konsequenzen gezogen: Die derzeitige Hockey-Weltmeisterschaft (Dortmund/München) findet in der Halle und auf Eis statt.
Den Tieren geht's da besser. „Die leiden“, freut sich Heiner Klös vom Berliner Zoologischen Garten, „nicht darunter.“ Da und dort würde „häufiger gebadet“, aber „nicht einmal der Eisbär liegt schlapp in der Hängematte“. Auch Allergiker hat der wissenschaftliche Mitarbeiter Klös keine ausgemacht. „Beim Menschenaffen würde das ja naheliegen, aber vielleicht sind die noch nicht so dekadent wie wir.“
Und dem Herbologen Kriener ist sowieso alles recht. „Ich fühle mich“, lacht er vom Balkon, „zunehmend als Mittelmeer-Anrainer.“ Herr Thömmes
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