■ Heiner Müller: Finster ist er nicht: Der Fall Müller ist ein Fall Schulze
„Telefonisch erreichte mich folgender annonymer [sic!] Hinweis“, faxte ein Dieter Schulze aus 1034 Berlin am 5.Januar an alle möglichen Redaktionen „Kultur/Politik“, die mit seiner „Information zu dem Literaten Müller, Heiner“ durchaus etwas anzufangen wußten. „Belegbares Material“, heißt es am Ende der neunzeiligen Denunziation, „wurde in Aussicht gestellt.“
Heiner Müller, der große Taktierer zwischen den feindlichen deutschen Staaten, ist nicht besonders geschickt gewesen, als er dem „Spiegel-TV“ erzählte, mit Stasi-Offizieren sei – während die Parteifunktionäre unansprechbar geworden wären – „vernünftig zu reden“ gewesen. Diese Aussage wurde innerhalb von Tagen verdreht zu der Nachricht, Müller sei „Informeller Mitarbeiter“ der Staatssicherheit gewesen. Implizit: er habe andere denunziert.
Der Theaterbetrieb der DDR war von den Ideologen schwer kontrolliert, von der Hinterbühne bis in die Verlagsspitzen. Wer dort agiert hat, mußte seine Interessen vertreten, will sagen: über seine Arbeit so informieren, daß die Gegenseite getäuscht war, ohne sich getäuscht zu fühlen. Zweifellos ist Müller in dieser Angelegenheit ein brillanter Anwalt in eigener Sache gewesen. Seine Stücke, mit doppeltem und dreifachem Boden, waren für ihn ein Netz von Bezügen, das ihm sukzessive Freiräume eröffnet hat. Einfacher gesagt: Seine politischen Feinde waren dümmer als er. Es ist völlig abwegig, „ohne jegliche handfeste Indizien“, zu unterstellen, Heiner Müller habe der Stasi zugearbeitet: die Kontrolle über andere Autoren und Theaterleute möglich gemacht habe. Er hatte dazu keinen Grund. Müller ist vertrackt und widersprüchlich, aber finster ist er nicht.
Heiner Müller ist in den achtziger Jahren aufgestiegen wie ein Komet, und Versuche, ihn in der Flugbahn zu sprengen, hat es seit 1989 gegeben. Wer kann gesamtdeutsche Sieger schon ertragen.
Schulze, zum Beispiel, kann es nicht. Der neurotische Dichter vom Prenzlauer Berg, der Müller dreist um Geld anging (und es bekam), der seine Reise in den Westen als „Ausweisung“ in Anführungsstriche stellt, ist wohl kaum mehr als ein besonderes giftiges Beispiel des enttäuschten Sohns. Als Autor erfolglos, hat er als Denunziant in dieser Woche gut funktioniert. Aber während die Gauck-Behörde im verquasten altpreußischen Register nach den Akten sucht, prüft Müller mit seinem Anwalt die Möglichkeit gerichtlicher Schritte gegen Schulze.
Natürlich wird Heiner Müller sich erklären müssen, und wenn nicht sich, dann das Gefüge namens DDR. Die Autobiographie „Krieg ohne Schlacht“ zugrunde gelegt, wird es ihm an Beispielen nicht fehlen. Und Müller ist nicht der Mann, der sich selbst schont. Ulf Erdmann Ziegler
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