■ Heimatkunde (2): Ein Mainzer Gieß(n)er: Aufbutzen, fegen, schmieren
Wenn eins das Weltgeläuf mit einem etwas scharfpixlig geratenen Doom-Level gleichsetzt, so mag das um drei Geschützlafetten herum seine Berechtigung haben – ganz stimmig ist es jedoch nicht; was das Beispiel des Mainzer churfürstlichen Geschütz-, Büchsen- und Brunnenmeisters sowie Zeugwarts Johannes Henschel im folgenden belegen wird:
Johannes Hensel (infolge der prä-neuhochdeutschen Vernuschelungsbewegung wie der postnatalen Vornamenarmut zu Henschel morphiert), 1590 geborener Sproß einer zu Breslau (auch: Wrclw o.s.ä.) rührigen alten Stückgießerfamilie, kam, auf welchen verworrenen Pfaden auch immer, gegen 1614 nach Mainz (dem, so Hegel später, Centralort des Reiches) und bekannte schon im nächsten Jahre & that kundt offentlich, daß der Hochwürdigst Fürst vnd Herr, Herr Geörg Friederich Ertzbischoue zu Maintz vnd Churfürst, Bischoue zu wormbß p. mein gnedigster Herr, mich zu ihrer Churf. Gn. vnnd dero Ertzstiffts Bronnenmeistern vf: vundt angenommen hat...
Ob es Henseln (oder auch Henscheln) gefallen hat, für zwanzig Vier gülden patzen wehrung auf gewöhnliche Quittung, auch fünf molter Korns deßgleichen von Hoff zwey Kleidt das Gießgas um die Nase sich blasen zu lassen, ist nicht bekannt; bekannt ist, daß er, Hens(ch)el, seinen Pflichten nachkömmlich obpflac, so offt es die nottturfft (!!!) erforderte gemäß den Auflagen des Amtes des Churfürschten Geörg F. von Greifenklau: er soll in yeder Zeit so tags so nachts die sprindenden brunnen versehen, was an röhrn oder sonsten, daran manglen oder brechen würdt wiederumb besern vund von neuem gießen, aber dabeneben soll er auch vunserem Büechsenmeister vund Zeugwarten vf erfordern vund so oft es noth sein würdt, in reinigung vundt sauberung vnnseres geschütz vleisigen aufbutzen, fegen, schmieren, sauber holten, zum besten verhoffen sein, dergleichen das geschütz, pulver, Kugel vund anndere munition sambt allem dem ienigen, daß an Kleinen büchßen, spießen, eißen, vund anndern darzu gehörig, getreulich vundt mit bestem vleiß versehen, verbeßernvnnd in ein Ordnung richten, vundt bringen helffen, das man mit dem geschütz, Kleinen büchsen vnnd wehren, alle stundt vundt augenblickh zu eilendem gebrauch an die feinndt oder zu feldt zu ziehen gerüst vnndt fertig sein möge ...
Der Rest, was ihm an Röhren, Blei und übrigem Metall bleibe, sei ihm zum eigenen Gebrauch anheimgestellt, mit der einzigen Maßgabe, alles militärisch Nutzbare sei seines, des Hofs.
Formschräge im Hinterhirn, Dichtrille im vordern, zog Henschel aus, dem Willen des Kurschattenfürsten zu willfahrn: berechnete den Luftschlag, diskutierte den Sandschlageffekt und verwarf die Anschnittlunker; schuf so nebenbei Glocken, wovon drei (nämlich in Bingen, Amorbach und Tringenstein) erhalten sind. Die übrigen fielen der Zeit zum Opfer – und die Zeiten, sie waren nicht so:
Der Schwede unter Gustav Adolf, andersgläubig und dem Schandreich feind, verraffte etwelche Teile Flickendeutschlands; und das damals wie heute gar nicht so goldige Mainz verlangte dem Bruder Johannes vieles ab: Das Schwindmaß wollte gemessen sein, das Verklammern geübt, der Guß getrieben werden.
Egal wie: Henschel (wohl auch Hensel) zackerte & tackerte, schuf das ein oder andre (untaugliche) Miittel wider Oxenstierna & friends und – viertels Nachfahre Archimedes' – befestigte die Martinsburg nebst Mainz, indem er zu Tag und zu Nacht das Geschütz aufbutzte, um die marodierenden Banden, die 1627 gern & oft plündernd & brennend das Rheintal durchzogen, zurechtzustutzen.
Auf die Dauer reichten jedoch die henschelschen (auch henselschen) Butzkünste nicht aus: Der Schwed' nahm Mainz, zersetzte die säuberlich von henselscher (oder auch henschelscher) Hand aufgebutzte Wehr und ließ sich für die nicht vollzogene Brandschatzung 80.000 Reichstaler seitens der Bürgerschaft zahlen, 81.000 weitere Pewonzen aus den prallen Säckeln der Geistlichkeit, die im November 1631 das vollends verheerte Mainz verließ.
Wenige Wochen später folgte Churfürst Anselm Casimir Wamboldt v. Umstadt, verfügte den hochherrschaftlichen Corpus gen Köln und ließ ein 400-Seelen-Kaff zurück, das, bis zum letzten ausgepreßt, zusehends verödete.
Henschel (der Hensel) sah keine Möglichkeit mehr, seine gebutzten Schießköpfe und Wachstrauben an den Fürst zu bringen und verließ das sinkende Rheinfloß.
In Gießen gründete er eine Gießerei, woselbst er bis zum Lebensende butzte und goß. Er kam, um zu gießen, und er kam um zu Gießen.
Sein Nachkomme, Georg Christian Carl Henschel, gründete 1810 eine Werkstätte, die sich zur weltumspannenden Firma Henschel & Sohn auswuchs und 1976 vom Thyssen-Konzern übernommen wurde. Herbert Lichti
P.S.: Bei Doom gibt es keine Glocken
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