■ Heiliges Prusten und geistige Erfrischung zu Fronleichnam: Lachkrampf als Glaubensbekenntnis
Das Lachen kommt der blonden Kirchgängerin aus tiefster Seele. Sie windet sich auf dem Boden, schlägt sich auf die Schenkel, prustet und kichert, als wäre sie völlig stoned. Neben ihr haut es einen bärtigen jungen Mann aus den Schuhen und in starke Arme, die den Lachsack sanft neben sie betten. „Halleluja“, gospelt es, und wer hier neu ist und nicht aufpaßt, tritt versehentlich in eines der weit über die Ohren grienenden Glücksgesichter, in die gerade der beste Witz ihres Lebens gefahren zu sein scheint: der Leibhaftige des Christlichen Zentrums Frankfurt am Main.
Wenn zu Fronleichnam heilige Monstranzen durch Kirchengassen getragen werden, legen weltweit 600 Millionen pfingstliche Charismatiker die Füße hoch. Passionsspiele im vollen Ornat sind ihnen schnuppe, sie wissen, wer wirklich den direkten Draht zum Heiligen Geist hat und welch himmlisches Vergnügen dahintersteckt. „Diese Bewegung boomt“, versichert der mit göttlicher Wort-, Unterscheidungs- und Wundergabe ausgestattete Selfmadeprediger der „Charismatischen Gemeinde“, Rudi Pinke. Selbst die katholische Kirche müsse das immer häufiger erscheinende Heilige Lachen in ihren Reihen tolerieren. Nicht offiziell natürlich, aber hundert Millionen sollen schon im Schatten des Papstes ablachen, weltweit.
Selbst der Kopf der Frankfurter Gemeinde hätte sich das nicht träumen lassen. Auf einem Managerseminar für Wirtschaftsexperten vor 14 Jahren hat es ihn erwischt. Da sei plötzlich Jesus leibhaftig im Raum gewesen und habe ihn bekehrt. Den Job als Banker schmiß er hin, schrieb von nun an für medizinische Fachblätter und fand erst wieder Ruhe, als er in Frankfurt seine charismatischen Fähigkeiten in einem eigenen Gemeindesaal demonstrierte.
Erlebnisgottesdienst nennt der 57jährige Padre seine religiöse happy hour am Sonntag. Einen festen Ablauf gibt es nicht. Programmpunkte: kurze Anbetungszeit, unterstützt durch E-Gitarren und Flöten, schnelle Predigt, die Segnung: „Deine Beinkraft versagt, du wirst auf den Boden gedrückt und brichst in heiliges Lachen aus“, beschreibt er den Höhepunkt des Abends. Da sind Kanzel, Weihrauch und Beichtstuhl passé; was der wahrhaft glückliche Christ bei Rudi Pinke braucht, ist vor allem einen weiche Landung auf dem Boden der Tatsachen. Denn wo Paare und auch ganze Gruppen von den Beinen geholt werden, da besteht Verletzungsgefahr. Mit ausgebreiteten Armen huschen deshalb sogenannte Fänger von Lacher zu Lacher. Da muß gestützt, gebettet und gewendet werden, damit, um Himmelswillen, kein Unglück geschieht.
Doch nicht nur Zwerchfell und Beinmuskeln kriegen bei der Holy-Ghost-Party einen Kick, auch der Kopf wird bedacht. Wenn Rudi Pinke Bibelstunde hält, schreiten plötzlich Jesus-Jünger durchs Land, die unheimlich gut drauf waren.
Heiliges Gelächter, wie es das Ohr des Papstes wohl noch nie erreicht hat, zieht über den Teppichboden des Christlichen Zentrums Frankfurt. Der Heilige Geist und Rudi Pinke haben die Gemeinde flach gelegt. Besonders die von den konfessionellen Kirchen verloren geglaubten Schäfchen zwischen 18 und 35 Jahren – hier lümmeln sie sich, high vom Allerhöchsten. „Alle sozialen Schichten sind hier vertreten, und viele kommen aus einem Umkreis von hundert Kilometern“, erklärt der Prediger nicht ohne Stolz. Zwischen Stuhlbeinen taucht ein bärtiger Mann auf und stößt zwischen zwei Lachsalven hervor, dies sei die einzige Perspektive, um das ganze Elend zu ertragen. Von Pinkes Segnungsfinger angeknockt, rutscht eine Dauergewellte als eine der letzten von ihrem Holzstuhl und bekommt einen Lachkrampf, der wirklich jeden neidisch macht, kniet, die Stirn aufgestützt, und haucht beim Luftholen: „Sooooo guuuuut.“ Jeder zehnte Katholik sei schon so drauf, meint Rudi Pinke stolz. So wird selbst Fronleichnam vielleicht einmal richtig charismatisch. Jörg Ihssen
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