Haustiere im Ökotest: Liebe macht Mist
Hunde sind bindungsstark, aber betreuungsintensiv, Fische sind die Lohas unter den Tieren - aber kalt. Eine Öko- und Sozialbilanz des Heimtiers
Die Bedürfnisse, aus denen heraus man sich einen Hund oder eine Katze anschafft, sind klar: "Offenbar erleben viele Menschen ohne ihre Haustiere überhaupt nichts Intimes mehr", schreibt der Frankfurter Sozialforscher Volkmar Sigusch. Und schätzt: "Könnten die Tierliebhaber schon jetzt ihre Lieblinge heiraten, täten es viele, zumal Hunde und Katzen bei Weitem nicht so alt werden wie Männer und Frauen."
Diese Behauptungen zur Lebenspartnerschaft zwischen Mensch und Tier sind zwar gewagt, aber in einer alternden Singlegesellschaft ist die Tierhaltung als Beziehungsform vielleicht wieder im Kommen. Laut einer neuen repräsentativen Umfrage der GfK Konsumforschung in Nürnberg im Auftrag der Apotheken Umschau stieg der Anteil der Tierhalter seit dem Jahre 2006 wieder, nachdem er zuvor zurückgegangen war. Mehr als ein Drittel der BürgerInnen lebt hierzulande mit Tieren. Die Tierhaltung wirft jedoch weitergehende Fragen auf: Wer sich ein Haustier anschafft, übernimmt auch die Verantwortung für die ökologischen und psychosozialen Auswirkungen.
Welche Umweltbelastungen verursacht mein Liebling und welche Beeinträchtigung für die Mitmenschen? Wie verändert sich mein Verhalten? Werde ich zum rücksichtslosen Vielhundehalter, dem es wurschtegal ist, ob sein Köter die Umwelt belästigt? Oder spare ich vor allem dem Gesundheitssystem viel Geld, weil mich mein Hund so munter auf Trab hält? Entwickle ich mich zum friedlichen Aquariumsbastler, der sich ein eigenes buntes Biotop in die Wohnung holt und sich alsbald auch gegen das Fischsterben in binnenverseuchten Gewässern engagiert? Oder werde ich vereinsamen mit meinen sechs Miezen, weil Besucher den Geruch des Katzenklos nicht aushalten?
Ein Tier müsse zum "Lebensstil passen", sagt Detlev Nolte, Sprecher des Industrieverbandes Heimtierbedarf (IVH). Wer ein Tier sucht, tut also gut daran, sich auch für die Öko- und Sozialbilanz des Lieblings zu interessieren. Die fällt je nach Tier recht unterschiedlich aus.
HUND
Am bindungsstärksten ist immer noch der Hund. 5,3 Millionen dieser Tiere leben schätzungsweise in Deutschland. Die Zahl stagniert. Und entgegen der Meinung vieler Nichthundehalter gibt es hierzulande vergleichsweise wenige Hunde: In Deutschland leben nur in 13 Prozent der Haushalte Hunde, in Großbritannien aber in 28, in Frankreich sogar in 38 Prozent.
Ökobilanz: Hunde sind Kackmaschinen. Sie produzieren Haufen von mehr als 400 Gramm, also mehr als 2.000 Tonnen Hundekot pro Tag in Deutschland - und das öffentlich. Die Ausscheidungen vergiften zwar nicht die Luft, aber die Stimmung. Stadtreinigungen sind diesbezüglich machtlos. Die Ausgaben der kommunalen Reinigungsbetriebe für die Beseitigung des Hundekots und die Kosten für örtliche Tierheime machten "nur einen Bruchteil des Hundesteueraufkommens aus", stellten die Wirtschaftswissenschaftler Renate Ohr und Götz Zeddies von der Universität Göttingen in einer Studie fest.
Allerdings sind Hundehalter in anderer Hinsicht echte Ökos: Der Hundehalter verreist weniger als der Nichthundehalter, 30 Prozent verzichten sogar auf Auslandsurlaube, vor allem mit dem Flugzeug. "Durch die Hundehaltung bleibt ein größerer Teil des Einkommens in Deutschland, da weniger Urlaubsreisen im Ausland getätigt werden", so Ohr und Zeddies.
Die Sozialbilanz ist positiv, einerseits. "Der Hund entwickelt eine starke Bindung an den Menschen", erklärt Reinhold Bergler, emeritierter Professor für Psychologie an der Universität Nürnberg und Vorsitzender des Forschungskreises Heimtiere in der Gesellschaft, im Gespräch mit der taz. Hundehalter gehen oft an die frische Luft, bekommen seltener als andere Menschen einen Herzinfarkt und nehmen nicht so oft einen Arzt in Anspruch.
Die Forschung habe auch gezeigt, dass etwa Scheidungskinder emotional davon profitierten, wenn sie einen Hund an der Seite hätten, so Bergler. Es stimme auch nicht, dass Hundehalter vereinsamte Singles seien. Vielmehr haben Leute mit Hund kein Problem mit Sozialkontakten, denn "man hat sofort ein Gesprächsthema". HundehalterInnen geben nicht gerne zu, dass das Tier mit im Bett schläft, was er bei einem Drittel der BesitzerInnen tut, jedenfalls nach einer in Mens Health veröffentlichten Umfrage. Auch Langzeitarbeitslose mit Tier profitierten, denn "ein Hund strukturiert den Tag", meint Bergler.
Vermittler in den Jobcentern sehen das allerdings anders und haben zumindest schon mal darüber geklagt, dass Erwerbslose die Annahme von Jobs verweigerten mit dem Hinweis, sie könnten ihren Hund nicht so lange allein lassen. Auch verlangt ein Hund ein dominantes Frauchen oder Herrchen - das fördert autoritäres Verhalten und die aus Hundeauslaufgebieten bekannte Herumbrüllerei.
KATZE
Fällt die Öko- und Sozialbilanz der Katze nun besser aus? Die Mieze gilt dem Kölner Diplompsychologen und Marktforscher Jens Lönneker als "Trendtier", weil sie unabhängiger vom Menschen lebt als der Hund. 7,9 Millionen Exemplare gibt es schätzungsweise in Deutschland, und ihre Zahl wächst, anders als die der Hunde.
Ökobilanz: Katzen gehen aufs private Katzenklo, üble Gerüche werden also, anders als beim Hund, meist nicht sozialisiert. Sie verbuddeln ihre Haufen, allerdings kann genau das mitunter zum Problem werden, wie in Internetforen geklagt wird. Denn Katzen verrichten ihr Geschäft auch mal gerne in Sandkästen auf Kinderspielplätzen, in denen Kleinkinder herumgraben.
Katzen jagen außerdem Vögel. Die Zahl der jährlich von freilaufenden Katzen getöteten Piepmätze "dürfte in die Millionen gehen", schätzt Wolfgang Mädlow, Geschäftsführer des NABU Brandenburg, im Gespräch mit der taz. Nach Hochrechnungen aus den USA, die sich in etwa mit Forschungen aus Großbritannien decken, tötet jede frei lebende Katze im Durchschnitt zwei bis drei Vögel pro Jahr. Der historische Nutzen von Katzen, der darin besteht, dass sie Mäuse fressen, ist heute kaum noch ökologisch von Bedeutung.
Die Sozialbilanz ist okay: Gerade in Lebenskrisen können sich Katzenhalter von ihrem Tier Streicheleinheiten holen, hat Bergler aufgrund von Studien festgestellt. Die Beziehung zur Katze erfordert vom Halter kein permanent dominantes Verhalten. Vielmehr sei die Beziehung ein "Aushandeln von Nähe und Distanz", so Lönneker. Genau deshalb stelle die Katze eine "ideale Ergänzung für die multiple Persönlichkeitsstruktur" des modernen Menschen dar.
Eine Katze will sich nicht immer streicheln lassen und scheint auch keine starke persönliche Bindung an ihre Besitzerin aufzubauen. Innere Entwicklungsmöglichkeiten wie bei der Hundehaltung fehlten aber manchen Katzenhaltern, stellt Lönneker fest.
KLEINVIEH
Die Illusion einer ganz persönlichen Beziehung lässt sich auch nur schwer bei den meisten Kleintieren entwickeln, darunter Kaninchen, Hamster, Meerschweinchen und Mäuse. Immerhin 6,6 Millionen dieser Tierchen wuseln durch einheimische Käfige.
Die Ökobilanz fällt dabei recht positiv aus. Die Einstreu ist bio und lässt sich entsprechend entsorgen. Je nach Tierart hält sich die Geruchsbelästigung zudem in Grenzen: Mongolische Rennmäuse zum Beispiel stinken nicht.
Die Sozialbilanz erfordert einige Kenntnisse, will man das Tier nicht leiden lassen. So sei die Goldhamsterhaltung in vielen Kinderzimmern "Tierquälerei", rügt Bergler. Hamster sind Nachttiere und wollen nicht tagsüber von tollpatschigen Kinderhänden hochgehoben werden. Auch Meerschweinchen erschrecken, wenn man sie ständig hochnimmt, "die denken dann, von oben kommt der Raubvogel", erklärt Nolte.
RENNMÄUSE
Rennmäuse sind erst recht keine Kuschel-, sondern vielmehr Beobachtungstiere. Wer sich allerdings die Zeit nimmt, jeden Tag zehn Minuten lang eine ruhige Hand in den möglichst großen Käfig zu halten, bis die Rennmaus darauf herumkrabbelt, der erlebt wunderbare Momente der Entschleunigung. Genau die richtige Tierart also für den Lohas-Lifestyle.
FISCHE
Noch beschaulicher geht es bei der Haltung von Fischen zu, einem Hobby, das aus Asien kommt. 2,1 Millionen Aquarien gibt es in Deutschland, "es ist ein Wachstumsmarkt", sagt Nolte. Die Aquaristik sei ein "Männerhobby".
Schließlich lässt sich ein Aquarium immer technisch aufrüsten und im Internet darüber debattieren, ob man das Wasser eher mit dem Streifen- oder mit dem Tröpfchentest überprüfen sollte, ob ein pH-Wert von 7 oder 8 günstig ist und sich die Siamesische Rüsselbarbe oder eher der Blaue Antennenwels zur Bekämpfung der ungeliebten schwarzen Pinselalge eignet. Aquarianer basteln sich selbst ihr buntes Unterwasserbiotop. Sie interessieren sich für Wasserchemie und sammeln so ökologisches Wissen an. Unerlässlich allerdings ist eine Haftpflichtversicherung, die auch größeren Wasserschaden einschließt.
In der Ökobilanz fällt der Stromverbrauch für Beleuchtung, Heizung und Pumpe negativ ins Gewicht, der sich aber in Grenzen hält.
Sozialbilanz: Fische sind bunt und hübsch, bleiben in ihrem Element und machen keine Geräusche. Diese Mischung aus ansprechender Optik und gleichzeitiger Unauffälligkeit hat ihr Gutes für den modernen Menschen. "Fische vermitteln eigentlich immer Alltagsfreuden und niemals Alltagsärgernisse", so Bergler. Psychologische Studien belegen, dass Fische eine beruhigende, aber auch stimulierende Wirkung haben, weshalb sich Aquarien zum Beispiel in vielen Arztpraxen finden.
VÖGEL
Ziervögel sind vor allem etwas für die späteren Lebensjahre, wenn man der Forschung glauben mag. 3,4 Millionen Ziervögel flattern in hiesigen Käfigen herum. Im Unterschied zur Aquaristik sei die Haltung von Vögeln "rückläufig" in Deutschland, berichtet Nolte.
Die Ökobilanz fällt positiv aus, denn Ziervögel bleiben schön im Käfig oder fliegen bestenfalls im Zimmer herum. Sie belästigen niemanden.
Sozialbilanz: Besonders bei alten Menschen kann ein Vogel die Stimmung deutlich verbessern, hat Bergler festgestellt. Im Rahmen einer Studie bekamen zweihundert BewohnerInnen in Seniorenwohnstätten für acht Wochen einen Wellensittich in Pflege. "Die haben dann mit ihren Angehörigen nicht mehr über ihre Krankheiten gesprochen, sondern über ihre Vögel", erzählt Bergler. Die SeniorInnen fragten weniger nach dem Betreuungspersonal und weniger nach dem Arzt. Sie freuten sich, endlich ein Thema auch mit anderen BewohnerInnen zu haben, "oft hatten sie sich mit denen zuvor noch nie unterhalten". Auch wenn wir über die Tiere reden, sprechen wir also letztlich über uns selbst. Das ist doch bemerkenswert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“