Hausdurchsuchungen bei Altnazis: Späte Ermittlungen nach SS-Massaker
Die Staatsanwaltschaft durchsucht die Wohnungen von sechs ehemaligen SS-Mitgliedern. Sie werden verdächtigt im Jahr 1944 Kriegsverbrechen begangen zu haben.
KÖLN taz | Fast sieben Jahrzehnte nach dem Massaker der SS im französischen Oradour-sur-Glane bemüht sich die Staatsanwaltschaft Dortmund, doch noch Beteiligte an dem Verbrechen in der Bundesrepublik juristisch zu belangen. Wegen des Verdachts des Mordes durchsuchten Ermittler jetzt die Wohnungen von sechs Tatverdächtigen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg. Sie sollen als Angehörige der Waffen-SS-Einheit "Der Führer" im Juni 1944 an der Tötung von mindestens 642 Zivilisten beteiligt gewesen sein.
Es sei darum gegangen, alte Aufzeichnungen oder Fotos zu finden, die die Beschuldigten aufbewahrt haben könnten, sagte Staatsanwalt Andreas Brendel. "Wesentliche Beweismittel" seien bei den Wohnungsdurchsuchungen in Köln sowie in der Nähe von Bielefeld, Hannover, Darmstadt und Berlin jedoch nicht gefunden worden, räumte der Leiter der NRW-Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen ein. Die heute 85 und 86 Jahre alten Männer hätten ihre Beteiligung an dem Massaker bestritten oder seien nach den ersten Eindrücken der Ermittler nicht vernehmungsfähig.
Eingesperrt, gesprengt und angezündet
Am 10. Juni 1944 waren etwa 150 Mitglieder des SS-Panzergrenadier-Regiments "Der Führer" in Oradour-sur-Glane eingefallen. Sie trieben die Einwohner des 22 Kilometer nordwestlich der Stadt Limoges gelegenen Ortes auf dem Marktplatz zusammen. Wer zu krank war, wurde gleich in seinem Haus erschossen. Die anderen wurden getrennt nach Geschlecht umgebracht: Die Männer wurden in Scheunen und Garagen getrieben und dort erschossen. Die Frauen und Kinder wurden in eine Kirche gesperrt, die dann gesprengt und angezündet wurde.
Insgesamt wurden 642 Menschen, darunter 240 Frauen und 213 Kinder, niedergemetzelt und verbrannt. Das Dorf wurde dem Erdboden gleichgemacht. Oradour-sur-Glane gilt als Symbol für die Grausamkeiten der Besetzung Frankreichs durch die Nazis. Wegen der Gräueltat gab es Anfang der fünfziger Jahre in Frankreich und Anfang der Achtzigerjahre in der DDR Gerichtsprozesse, die auch mit Verurteilungen endeten.
Dass die Dortmunder Staatsanwaltschaft vor rund einem Jahr die Ermittlungen wieder aufgenommen hat, basiert auf dem Fund von Akten aus den Untersuchungen der DDR-Staatssicherheit gegen den SS-Obersturmführer Heinz Barth. Der 2007 verstorbene Zugführer des Panzergrenadier-Regiments "Der Führer" war 1983 in Ostberlin zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Einer der damals von der Stasi vernommenen Zeugen ist jetzt unter den Beschuldigten. Ob es gegen ihn oder einen der anderen Verdächtigen zu einer Anklage kommen wird, weiß Staatsanwalt Brendel nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus