: Hat Chirac die Öffentlichkeit ver–kohlt?
■ Unter Berufung auf Kohl und Genscher soll der französische Premierminister Chirac in einem Interview den israelischen Geheimdienst beschuldigt haben, in den Anschlag auf die El–Al–Maschine in London verwickelt zu sein / Heute Treffen der EG–Außenminister
Paris (afp) - Kurz nach den umstrittenen Newsweek–Erklärungen von Kohl hat auch Frankreich seinen Interview–Skandal. Der französische Premierminister Jacques Chirac soll gegenüber der Washington Times den israelischen Geheimdienst Mossad beschuldigt haben, zusammen mit Abweichlern innerhalb des syrischen Geheimdienstes Drahtzieher des Syrien zugeschriebenen Attentatsversuchs auf eine „El Al“–Maschine in London gewesen zu sein. Der Regierungschef berief sich dabei angeblich auf Äußerungen von Kohl und Genscher. Ziel dieser Zusammenarbeit sei der Sturz des syrischen Präsidenten Assad gewesen. Nach Erscheinen des Interviews bestritt Chirac am Freitag energisch diese Darstellung und erklärte, weder Deutsche noch Franzosen seien zu derartigen Schlußfolgerungen gelangt. Die Wiedergabe seiner Worte in der Washington Times gehe weit über seine Äußerungen hinaus und entbehre jeder Grundlage. Er betonte, daß seine Bemerkungen gegenüber dem amerikanischen Journalisten off the record, also nicht namentlich zitierfähig gewesen seien. Er habe auch nicht ge wußt, daß dieser Teil des Gesprächs mit einem Tonband aufgezeichnet wurde. Der Chefredakteur der von der Moon–Sekte finanzierten Washington Times drohte daraufhin, er werde „ab Montag“ den gesamten Tonbandmitschnitt des Interviews veröffentlichen, wenn er weiter als Lügner bezeichnet werde. Er habe die Äußerungen Chiracs „praktisch wörtlich“ wiedergegeben. Die Pariser Zeitung Le Monde berichtete dazu am Samstag unter Berufung auf Äußerungen aus der Umgebung des Staatspräsidenten Mitterand, daß Chirac während des Interviews „die Meinung“ von Kohl und Genscher wiedergegeben habe, die so beim jüngsten Gipfeltreffen in Frankfurt geäußert worden sei. Man gehe davon aus, daß Chirac „in gewissem Sinne die Äußerungen seiner Gesprächspartner etwas hervorgelockt“ habe. Das Londoner Außenministerium bekräftigte inzwischen seine Überzeugung, daß der syrische Geheimdienst hinter dem fehlgeschlagenen Attentat stecke. „Wir haben absolut keinen Beweis für ein Komplott des Mossad“, hieß es in London. Die israelische Botschaft in Paris begrüßte am Freitag das Dementi Chiracs. Von offizieller Seite in Jerusalem wurde der Fall als „absurde Farce“ bezeichnet. Bonn dementierte, dem französischen Regierungschef Informationen über ein angebliches israelisches Komplott gegeben zu haben. Am Samstag bekräftigte Chirac in Paris die Haltung seiner Regierung, daß ein Bruch mit Syrien den Spielraum Frankreichs einschränken würde, „seine Verantwortung im Libanon zu übernehmen“. Jede Lösung der Libanon– Krise gehe zwangsläufig über Syrien, sagte er vor Vertretern der jüdischen Gemeinde Frankreichs. Die Pariser Regierung habe im Nahen Osten die Aufgabe, Stabilität und regionale Entwicklung zu fördern und den wachsenden Extremismus einzudämmen. In London beginnt heute eine informelle Tagung der EG–Außenminister zur Frage gemeinsamer Aktionen gegen Syrien. Von den elf Sanktionen, mit denen London bei der ersten Sitzung am 27. Oktober in Luxemburg gescheitert war, stehen nur noch vier zur Diskussion: Waffenembargo, Abbruch der Beziehungen auf hochrangiger Ebene mit der syrischen Führung, verstärkte Über wachung der syrischen Botschaften und schärfere Kontrolle der syrischen Luftfahrtgesellschaft „Syrian Arab Airlines“. Außer Griechenland haben sich bereits bei der ersten Sitzung alle EG– Partner mit diesem Paket einverstanden erklärt. Athen und Paris hatten jedoch Zweifel an den von London vorgelegten Beweisen für die syrische Verantwortung für das gescheiterte Attentat auf die El Al–Maschine angemeldet. Der syrische Präsident Assad hat indessen mit Vergeltungsmaßnahmen gegen Sanktionen gedroht und erklärt, Syrien werde auf jeden Schlag mit einem härteren Gegenschlag antworten. Wirtschaftliche und militärische Drohungen „imperialistischer und zionistischer Kräfte“ seien zum Scheitern verurteilt und hätten keinerlei Einfluß auf Syrien, sagte der Staatschef in einer am Samstag von der gesamten syrischen Presse wiedergegebenen „Botschaft an die Arbeiterklasse“.
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