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Harles und Jentzsch meldet Insolvenz an"Hohes Maß krimineller Energie"

Die Firma Harles und Jentzsch meldet Insolvenz an. Der Verkauf dioxinbelasteter Fette als Futtermittel-Bestandteil soll "systematisch" abgelaufen sein. Es drohen Haftstrafen.

Manche Bauern wären froh, sie hätten auf die Power verzichtet: Firmengelände der Harles und Jentzsch GmbH in Uetersen. Bild: dpa

HAMBURG taz | Der Uetersener Futterfett-Hersteller Harles und Jentzsch ist am Ende. Das Unternehmen, Ausgangspunkt des bundesweiten Dioxinskandals, hat am Mittwoch Insolvenz angemeldet. Nach Ansicht des Bundeslandwirtschaftsministeriums brachte Harles und Jentzsch "mit einem hohen Maß krimineller Energie" dioxinbelastete Futtermittelfette auf den Markt.

Zwar liegen noch keine belastbaren Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vor. Die Anzeichen, dass die Giftpanscherei mit Vorsatz und System erfolgte, verdichten sich aber. Die Staatsanwälte ermitteln gegen das Unternehmen unter dem Anfangsverdacht des Betrugs, der Steuerhinterziehung und des Verstoßes gegen das Lebens- und Futtermittelgesetz.

Das Unternehmen aus dem Kreis Pinneberg soll "Futtermittel, die die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können", wissentlich in Verkehr gebracht haben, so Oberstaatsanwalt Ralph Döppner. Den Verantwortlichen drohten hohe Geldbußen oder Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.

Harles und Jentzsch

Der Futtermittelhersteller Harles und Jentzsch verarbeitete und vertrieb tierische und pflanzliche Fette für Schweine, Rinder und Geflügel. Das 1980 gegründete Unternehmen stellte auch technische Fettsäuren für die Industrie her.

Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe drohen dem insolventen Unternehmen. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner bezifferte den Schaden für die betroffenen Bauern auf 40 bis 60 Millionen Euro pro Woche.

Der Insolvenzantrag des Unternehmens ging Mittwoch Nachmittag beim Amtsgericht Pinneberg ein. Als vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte das Gericht einen Hamburger Rechtsanwalt.

Mit "kostengünstiger Rohwarenbeschaffung aus allen Teilen der Welt" warb Harles und Jentzsch bis vor kurzem auf seiner inzwischen aus dem Netz genommenen Homepage. Zutreffend, wie es scheint: Nach dem momentanen Erkenntnisstand wurde ein eindeutig als "technische Mischfettsäure" deklarierter Rohstoff nicht zu Industriefett weiterverarbeitet, sondern in der Futtermittelproduktion verwendet.

Ein einträgliches Geschäft: Für eine Tonne Industriefett kassierte das Unternehmen rund 500 Euro, für eine Tonne Futterfett aber das doppelte. "Wir waren leichtfertig der Annahme, das die Mischfettsäure für die Futtermittelherstellung geeignet sei", sagt der Geschäftsführer des Unternehmens Siegfried Sievers, schweigt sich ansonsten aber unter Hinweis "auf das laufende Verfahren" aus. Das Bundesamt für Verbraucherschutz hingegen hält die rechtlichen Vorgaben für eindeutig. Die Fettsäuren hätten "nie für Tierfutter verwendet werden dürfen".

Erschwerend kommt hinzu, dass das Unternehmen bei Eigenkontrollen bereits im März 2010 erstmals Dioxin-Überdosierungen feststellte, diese aber nicht der zuständigen Aufsichtsbehörde meldete. Die erfuhr erst am 27. Dezember von den Dioxinfunden. Um die Giftfunde zu verschleiern, soll die Firma die dioxinhaltigen Fette so lange verdünnt haben, bis die Grenzwerte eingehalten wurden. Damit das Kontrolllabor nicht Alarm schlagen konnte, sollen die belasteten Proben umdeklariert und als technischen Fette eingeschickt worden sein.

Das Dioxin soll über die illegale Mischanlage eines Firmenpartners, der Spedition Lübbe Transport und Logistik GmbH im niedersächsischen Bösel, in das Tierfutter gelangt sein. Da die Mischanlage offensichtlich weder registriert noch genehmigt war, seien amtliche Kontrollen ausgeblieben, so das Landesamt für Verbraucherschutz. Die Geschäftsführung der Spedition bestreitet alle bislang erhobenen Vorwürfe.

Laut Kieler Landwirtschaftsministerium verkaufte Harles und Jentzsch schon seit März 2010 dioxinbelastetes Fett an Händler. Ministeriumssprecher Christian Seyfert sagte, aus den Monaten März, Mai und September 2010 gebe es belastete Proben, die seiner Behörde verschwiegen worden seien.

3.000 Tonnen dioxinbelastetes Futterfett wurden laut Bundesamt für Verbraucherschutz von Harles und Jentzsch allein zwischen dem 12. November und 23. Dezember an Futtermittelhersteller geliefert. Infolge dessen waren allein in Niedersachsen 4.400 Höfe gesperrt worden. Ein Großteil von ihnen wurde mittlerweile wieder freigegeben.

Inzwischen sind die dioxinverseuchten Fettsäuren am Ende der Nahrungskette angelangt. Der Landkreis Verden teilte mit, dass von Ende November bis Ende Dezember 2010 Fleisch von rund 150 Schweinen, die das dioxinbelastete Futter erhalten hatten, auf den Markt gelangt sei. Der Verdener Schweinemastbetrieb, bei dem am Dienstag bei einer Probeschlachtung erhöhte Dioxinwerte festgestellt wurden, gehörte zu den Kunden von Harles und Jentzsch. "Wir versuchen, die Spur des Fleisches zurückzuverfolgen, um es möglicherweise noch aus dem Verkehr zu ziehen", sagte der Verdener Veterinär Peter Rojem. Dafür ist es in vielen Fällen zu spät.

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11 Kommentare

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  • BS
    Bernd Smeraldo

    Was Harles u. Jentzsch anbetrifft, so gibt es in manchen anderen Ländern für Menschenmassenvergiftung die Todesstrafe. Sollten ich,oder irgentjemand in meiner Familie wegen diesen Verbrechern Blutkrebs bekommen, wird abgerechnet. Gott kennt Gnade, ICH NICHT!!!!!!!

  • PB
    Pater Brown

    Die gesamte Agro-Industri steckt voller mafiöser krimineller Energie, ob bei Futtermittelherstellung, Antibiotikamissbrauch oder Tierschutz. Der von der Politik (vor allem McAllister, Wulff, Merkel, Aigner) gedeckte Lobbyismus muss endlich eine Ende haben. Beim nächsten mal anders (besser!) wählen bleibt die einzige Wahl.

  • H
    Hytieia

    Laut einem Futtermittelhersteller, der anonym bleiben wollte ist die Verwendung von Fettsäuren aus der "Bio"-Dieselprodukten legal und wird seit Jahrzehnten praktiziert. Diese Fettäuren stehen auf der Positivliste für Einzelfuttermittel, die im Rahmen des QS-Siegels gilt. Sie wird vom Zentralausschuss der Deutschen Landwirtschaft herausgegeben. D.h. die in der Landwirtschaft Tätigen wissen, dass Futtermittel mit Raffinationsfettsäuren ( Kennziffer 2.10.04 ) hergestellt werden.

    Wenn jedermann Vorprodukte für Futtermittel illegal produzieren können und niemand das zur Anzeige bringt, dann nützen auch die Kontrollen der bekannten Futtermittelbetriebe nichts, die das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium ankündigt. Warum wird einem Spediteur ein Tanklager mit Rührwerk genehmigt? Hat wirklich niemand, der in verantwortlicher Position ist, davon gewusst, was da in Bösel betrieben wird?

     

    Ich denke wir werden ein wenig für dumm verkauft.

  • EE
    ein Esser

    Billige oder gute Lebensmittel, die Deutschen sollten sich mal entscheiden.

    Besser aber begreifen, dass sie ihre Nahrung und die Erzeuger besser wertschätzen sollten, dann werden auch die Ernährten mehr wert geschätzt.

     

    (captch für diesen Kommentar, is brot, wie passend)

  • CK
    Claus Kiesewetter

    Unter welcher Flagge wird die Kiste wieder

    in See stechen ?

  • DD
    Dieter Drabiniok

    Die Panscher nahmen zukünftige Gesundheitsschäden der Konsumenten billigend in Kauf. Sie handelten mit Vorsatz, heimtückisch und aus niederen Beweggründen. Steuer- und Lebensmittelrecht? Is' mir schlecht!

     

    3000 Tonnen gepanschte Futtermittel in zwei Monaten, wenn ich das richtig verstanden habe. Erste, nicht gemeldete Dioxin-Belastung im März 2010, wenn ich das richtig verstanden habe.

    Treffen die Zahlen aus den Geschäftsbilanzen der Panscher aus den Jahren 2006, 2007, 2008 zu, hat der Betrieb in diesen drei Jahren seinen Jahresumsatz nur verdoppelt, seinen Gewinn nach Steuern aber vervierfacht. Sind doch positive Wachstumszahlen und mehr Netto vom Brutto!

    Konsequent wäre die Forderung, die Grenzwerte für Dioxinbelastung in Nahrungsmitteln den ökonomischen Notwendigkeiten anzupassen. Wie schon für strahlenbelastete Lebensmittel nach Tschernobyl.

    Niemand wird heutige Krebserkrankungen auf den GAU zurückführen. In zehn Jahren, werden die Einen erkranken und sterben, die Anderen die Gesundheitskosten tragen.

  • K
    Kai

    Mit Miteid mit den ganzen Mitarbeitern :(

  • M
    Martin

    Mh, und ich hätte vermutet, daß durch die Verwendung von preiswerten Fetten, mehr Gewinn als normal erwirtschaftet wird.

    Wenn selbst so eine Firma Pleite geht, möchte ich nicht wissen wie die aktiven Firmen in dem Gewerbegereich ihre Gewinne erwirtschaften ;-)

  • MS
    Martin Siebert

    Wie so oft sind die betroffenen Bauern die gelackmeierten! Höfe geschlossen, laufende Kosten ohne Einnahmen und schiefe Blicke gratis. Die Ursache liegt, wie schon bei manchen früheren Skandalen, bei Kriminellen im Bereich Verarbeitung und Handel. Statt noch mehr Kontrollen auf dem Hof benötigen wir Bauern eine klare Zuweisung von Verantwortung und Haftung. Nicht nur bei Futtermitteln, sondern auch bei Saatgut - Stichwort Gentechnik. Wer verantwortungslos Gifte und Gene in Umlauf bringt, muss auch dafür gerade stehen!

    Dass in der Diskussion nun auch die Massentierhaltung als kritikwürdig zur Sprache kommt, ist durchaus positiv. Nur, wer definiert wann Massentierhaltung beginnt? Wir haben als Biobetrieb 12 Kühe im Stall und werden belächelt, der Nachbar 80, der andere Nachbar 150 und ostdeutsche Großbetriebe mehrere Hundert... technisch alles möglich! Und warum? Weil es ein gesellschaftlicher Konsens ist, dass Lebensmittel billig sein müssen!

    Der gemeine Durchschnitts-Konsument hat zwar hohe qualitative und moralische Ansprüche an die Erzeuger, rennt dann aber doch zum Discounter und glaubt ernsthaft, dass der Hof auf der Verpackung so wirklich existiert. Kann er garnicht bei dem niedrigen Preis!

    Hoffentlich führen Proteste und Diskussionen endlich dazu, dass die Verbraucher in erheblicher Anzahl wieder in ihre Verantwortung gehen!

    Mein Vorschlag für die Zukunft: Kauft gemeinsam Bauerhöfe, auf denen ihr als Verbraucher auch mitarbeiten könnt. Stellt Gärtner und Bauern ein und bezahlt sie so anständig, dass auch sie gut leben können. Und anerkennt, dass Qualität ihren Preis hat, auch krumme Möhren lecker schmecken und Tomaten nicht im Winter wachsen!

  • IN
    Ihr Namekalahari

    Wer die absichtliche Insolvenz in allen Facetten als Mitarbeiter mitgelitten hat, bekommt schon Zweifel an diesem Schweinesystem.

  • W
    Wolfgang

    Die Insolvenz der Firma Harles und Jentzsch war voraussehbar.

    Die Bauern werden auf ihren finanziellen Schäden sitzenbleiben.

    Das im Fett der Menschen angereicherte Dioxin ist sowieso nicht rückholbar.

    Bleibt nur die Hoffnung, dass die Verantwortlichen in der Firma Harles und Jentzsch mit Höchststrafen verurteilt werden.

    Die Politik sollte sich überlegen, ob die Strafen nicht erhöht werden sollten.