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Hamburgs Schulsenatorin verteidigt Reform"Länger gemeinsam lernen"

Die Hamburger Schulsenatorin Christa Goetsch verteidigt das umstrittene Reformvorhaben. Kinder dürften nicht aufgrund ihrer sozialen und ethnischen Herkunft getrennt werden.

"Modellprojekte hatten wir genug": Hamburger Schulsenatorin Christa Goetsch. Bild: dpa
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Frau Goetsch, warum sollen Kinder sechs Jahre zusammen zur Grundschule gehen, auch wenn Eltern glauben, dass ihnen das nicht gut tut?

Christa Goetsch: Erfreulicherweise sind nicht alle Eltern gegen die Reform. Wir können den bildungspolitischen Skandal nicht länger akzeptieren, dass Kinder aufgrund ihrer sozialen und ethnischen Herkunft getrennt werden und Bildungschancen nicht nach Leistung gewährt werden. Das ist der Hauptgrund, warum wir längeres gemeinsames Lernen zusammen mit einer Verbesserung des Unterrichts in kleineren Klassen in den Mittelpunkt der Reform gestellt haben.

Schaffen sechs Jahre Grundschule mehr Gerechtigkeit als vier Jahre?

Ich bin davon zutiefst überzeugt. Längeres gemeinsames Lernen ist besser für die Kinder und ihre Entwicklung.

In Berlin gibt es die sechsjährige Grundschule und dennoch haben wir soziale Barrieren zwischen Gymnasien und anderen Schulformen. Sind Ihre Erwartungen nicht zu hoch?

Alles kann Schule nicht leisten, aber indem wir Kinder nicht mehr mit zehn Jahren in entsprechende Schubladen stecken und individuell fördern, wollen wir mehr Schüler zu besseren Abschlüssen führen.

Im nächsten Schuljahr soll die Primarschule flächendeckend starten. Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen?

Wir haben zusätzliche Lehrer für die Primarschulen eingestellt, insgesamt werden es rund 300 sein. Die Lehrerfortbildungen laufen und die Schulen bereiten sich seit Monaten vor.

Viele Eltern lehnen die Reform ab. Wie wollen Sie diese gegen deren Willen durchziehen?

Viele Eltern sind vor allem dagegen, dass sie beim Übergang in weiterführende Schulen nicht mehr mitbestimmen können. Sie könnten sich also vorstellen, aufgebrachte Eltern zu besänftigen, indem sie das Elternwahlrecht einführen?

Das ist mit Sicherheit ein Thema, das bei den Vermittlungsgesprächen eine Rolle spielen wird.

Die Eltern-Initiative will vor allem die vierjährige Grundschule erhalten. Können Sie sich Ausnahmen vorstellen?

Das längere gemeinsame Lernen ist ein Kernstück unserer Reformen. Modellprojekte hatten wir genug.

Sollte es zum Volksentscheid kommen, stünde das wichtigste schwarz-grüne Projekt auf dem Spiel. Lassen Sie es darauf ankommen?

Wir gehen ja in Vermittlungsgespräche, um einen solchen Volksentscheid zu vermeiden. Aber nicht um jeden Preis. Die Unterzeichner des Volksbegehrens stellen knapp 14 Prozent der wahlberechtigten Hamburger Bevölkerung aber nicht die Mehrheit. Es gibt viele Initiativen, die sich für längeres gemeinsames Lernen aussprechen. Bei einem Volksentscheid können auch die vielen Befürworter ihre Meinung laut vertreten.

Dann wird der Hamburger Schulkrieg zum Wahlkampf?

Es gibt eine Stimmung in der Stadt, dass wir nun versuchen sollten, diese Konfrontation zu vermeiden und zu einem pädagogisch vertretbaren Kompromiss zu finden.

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6 Kommentare

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  • MJ
    Martina Juhnke

    Es gibt keine (!) Studie, die beweist, dass längeres gemeinsames Lernen alle Kinder besser fördert und soziale (Herkunfts)unterschiede ausgleicht!

    Im Gegenteil: Alle Vergleiche zwischen Gesamtschulen und Gymnasien (z. B. die LAU- und Kess-Studien aus Hamburg) zeigen, dass Schüler/innen vergleichbarer Herkunft und mit vergleichbarem Leistungsstand (auch lernschwächere!) auf einem Gymnasium am besten gefördert wird. Und: in Berlin GIBT es die 6jährige Grundschule, und in Berlin ist die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft so groß wie in keinem anderen Bundesland!!! (und das sind aktuelle! Daten, nachzulesen auf www.insm-bildungsmonitor.de)

    Und wenn das in Finnland so ist, dann deshalb weil die sozialen Problem mit schwierigen Schülern, die den Lehrer/innen (und ihren Mitschüler/innen) in Hamburg das Leben, Lehren und Lernen schwer machen, von Fachleuten gelöst werden. Dort gibt es in jeder (!) Schule (obwohl 50 Prozent der Schulen weniger als 50 Schüler haben) eine/n Sozialpädagogen, eine/n Psychologin/en und einen Arzt. Dort bekommt jedes Kind ein kostenloses Mittagessen, damit Lernprobleme durch Mangelernährung (in Deutschland gibt es zwar keine hungernden, aber viele falsch ernährte Kinder) möglichst nicht auftreten. Und: dort wird kein Kind eingeschult, das nicht richtig finnisch spricht!!!!

    Die Gymasium sind die leistungsstärksten Schulen Hamburgs und: diese Ergebnisse sind zustande gekommen mit Schüler/innen, die in der 5. Klasse eingeschult wurden. Hat Frau Goetsch noch nie etwas von dem Grundsatz „Never change a winning team” gehört???

    In diesem Jahr sind 50 Prozent der Kinder nach der 4. Klasse in einem Gymnasium eingeschult worden - in Billstedt lag der Anteil der dafür nicht empfohlenen Kinder bei 50 Prozent!! Glaubt Frau Goetsch trotz dieser Zahlen wirklich, die Mehrheit der Hamburger Eltern steht hinter dieser Reform und die 185.000 sind nur irgendwie geschickt überredet worden zu unterschreiben???

    In Hamburg sind aber auch (und das ist das echte Prroblem) 20 Prozent der Schüler/innen am Ende der 4. Klasse fast Analphabeten, und das wird sich ganz bestimmt nicht ändern, indem man alle zwei Jahre länger gemeinsam länger lernen lässt. Sondern nur, wenn man früher mit der Förderung anfängt (der Spracherwerb beginnt schließlich schon im Mutterleib) z. B. durch verbindlichen Kita/Vorschulbesuch. Oder noch besser - und DAS wäre ein Schritt gewesen, der soziale Herkunftsunterschiede vielleicht wirklich ausgleichen könnte!- durch die sofortige, flächendeckende (!) Einführung von 4jährigen, gebundenen (!) Ganztags-Grundschulen mit kleineren Klassen, kostenlosem Mittagessen und mehr Lehrern!!!!

  • P
    Professor

    Einen Schulfrieden kann es mit einem Kompromiss nicht geben.Wie sollte der aussehen? Die Privilegierten bekommen mehr Privilegien und die anderen ein paar?

     

    Deshalb brauchen wir einen Volksentscheid als demokratisches Instrument der Mehrheitsfindung.

     

    Die Reformgegner wissen genau, dass noch nicht einmal 65.000 Hamburger hinter ihnen stehen. Sonst hätten Sie wohl nicht den täuschenden Namen "Wir wollen lernen" gewählt und ausdrücklich die Rentner und Großeltern zu Ihrer Zielgruppe erklärt, bei denen zu vermuten ist, dass sie nicht so genau hinsehen.

     

    Ein solches Täuschungsmanöver ist bei einem Volksentscheid (auch mit Millioneneinsatz)nicht mehr möglich.

  • DL
    Dr. Ludwig Paul Häußner

    Hamburgs Schulreform ist Leuchtturm für Deutschland

     

     

    In Baden-Württemberg könnten wir froh sein, wenn statt Mappus (CDU) und Pfister (FDP) Ole van Beust und Christa Goetsch - also schwarz-grün - regieren würden.

     

    Hamburg plant ja nicht die Einheitsschule, sondern eine Gemeinschaftsschule für die Primarstufe und zwar als eine auf sechs Jahre angelegte Primarschule und darauf zwei Säulen für die Sekundarstufe.

     

    In Baden-Württemberg gibt es etliche Aufbaugymnasien ab Klassenstufe sieben!

     

    Weit wichtiger für Innovationen im Schulwesen ist aber die zweite Säule. Aber auch diese Säule bietet die Möglichkeit bis zum Abitur zu gelangen.

     

    Aus diesem Grunde brauchen wir dafür auch eine neue Begrifflichkeit: die Kolleg-Schule. Sie ist ebenfalls allgemeinbildend, bietet aber unterschiedliche Profile an wie sozialwissenschaftlich, wirtschaftswissenschaftlich, technisch, musisch, sprachlich usw. in den Klassenstufen 7 -10, in den Klassenstufen 11 -12 sind berufliche Profile auszubilden (in Form beruflicher Vollzeitschulen oder beruflicher Gymnasien).

     

    Gerade Baden-Württemberg und Bayern als Flächenländer sollten sich von Hamburg eine Scheibe abschneiden, denn allein schon die demografische Entwicklung wird diese Länder zwingen ihre Schulstruktur zu ändern, auch dann wenn alle erziehungswissenschaftlichen Argumente dazu nicht helfen werden.

     

    Viele BürgermeisterInnen in Bayern und Baden-Württemberg hätten viel lieber eine sechsjährige Grundschule, um ihre Schulen vor Ort nicht schließen zu müssen. Leider sind farblose Kultusminister wie Herr Rau in Baden-Württemberg nicht in der Lage den Hamburger Reformimpuls auf ihr Verantwortungsgebiet auszudehnen. Die Kommunen sollten deshalb im Rahmen ihrer Selbstverwaltung auch kommunal-selbständige Schulen einrichten. Die Charter-Schulbewegung in den USA könnte dafür Vor-Bild sein. Mehr Informationen zu diesem Thema unter: www.unternimm-die-schule.de

     

     

    L.P. Häußner, Karlsruhe

  • U
    Unbequemer

    Ich übersetze einmal:

     

    Tarnungsdeutsch: Gemeinsam länger lernen

     

    Deutsch: Fähige Schüler einbremsen.

  • CB
    Carsten Bittner

    Dieses Interview dokumentiert vor allem eines: Die erstaunliche Wirksamkeit intensiver Autosuggestion - bis hin zum vollständigen Realitätsverlust... "Nur 14 Prozent" haben das Volksbegehren gegen die Primarschule unterschrieben - ach ja? Und wieviele waren es vor einem Jahr bei dem von Frau Goetsch initiierten Volksbegehren für die Einheitsschule? Und wieviele haben GAL gewählt? Der Senatorin steht eine verdammt harte Landung bevor.

  • UN
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    Längeres gemeinsames Lernen ist überfällig. 6 Jahre sind imo zu wenig - was spricht gegen 10 Jahre außer dem elitären Dünkel mancher Akademiker_innen-Eltern und den leeren Landeskassen, die keine kleineren Lerngruppen finanzieren wollen?

     

    Sozioökonomische Strukturen werden durch die Aufteilung auf verschiedene Schulformen immer weitergegeben.

    In meiner Grundschulklasse in Köln waren gut 50% der Leute Migranten erster oder zweiter Generation. In meiner Gymnasialklasse lag die Quote noch bei 20%.

    Bei überteuerten, freiwilligen Kindergärten, deren Erzieher_innen nur deutsch konnten während die Eltern der Kinder Deutsch nur bruchstückhaft beherrschten (sie sollten ja nach ein paar Jahren Gastarbeit ihrer Eltern wieder abreisen), sind halt einige Kinder niemals dort gewesen und konnten entsprechend in der ersten Klasse nur mittelmäßig Deutsch. Es gab nur in manchen Halbjahren Sprachförderunterricht. Ich glaube nicht, dass den Fähigkeiten aller Kinder so gerecht wurde.

     

    Die Aufteilung erfolgt nicht nur im Hinblick auf Leistungskriterien, vergleiche IGLU 2006 zur Korrelation zwischen erwarteter Lesekompetenz für eine Gymnasialempfehlung in Abhängigkeit vom Bildungshintergrund der Eltern.

     

    Leistungsunterschiede durch Trennung aufheben zu wollen ist ohnehin illusorisch. Schon alleine weil in der Pubertät die Leistungen bei ALLEN Kids unvorhersehbare Sprünge machen..

     

    Außerdem gibt es keine homogenen Gruppen; die Frage ist nur, ob Lehrer_innen die Möglichkeit haben, mit Heterogenität umzugehen.

    Bei meiner Schwester waren sie in der 8. Klasse 34. In der 9. Klasse waren sie noch 26 - der Rest ist sitzengeblieben. Ich glaube nicht, dass in einer Klasse mit 15 Leuten knapp ein Viertel, also 3 oder 4 Kinder, sitzenbleiben würden.