■ Hamburgs SPD vor der Koalitionsentscheidung: Kursbestimmung überfällig
Neunzehn Wahlen stehen in den nächsten Monaten in Deutschland an. Jede kann zu einem neuen Debakel für die politische Altlast von CDU, FDP und SPD werden. Allein die Altpartei SPD hat eine – letzte? – Chance, dem kollektiven Absaufen zu entgehen. Das Modell Scharping, sich per Kungelrunde mit den Losern von CDU und FDP aus dem Sumpf zu ziehen, hat nicht erst in Hamburg eine schallende Ohrfeige erhalten. Die WählerInnen wollen nicht den Schulterschluß des althergebrachten bundesdeutschen Systems, sondern neue Antworten auf alte und neue Probleme. Diese Aufgabe ist mit Lauschangriff, Blauhelmschießereien und der Kriminalisierung von Einwanderern nicht zu lösen.
„Unser Sozialsystem, der öffentliche Dienst, die ganze bisherige Politikmaschine muß von Grund auf erneuert werden.“ Als Unternehmensberater Roland Berger diese Botschaft nach dem Münchner Wahldebakel verkündete, löste er Betroffenheit aus. Steht es so schlimm? Es steht so schlimm. Und die SPD muß endlich beantworten, wie und mit wem sie diese Herausforderung bewältigen will. Die deutschen Grünen verkörpern heute die vielleicht letzte Chance für eine Erneuerung des Systems aus eigener Kraft. Sie kann nur dann genutzt werden, wenn es SPD und Grünen gelingt, in einer gemeinsamen Offensive eine im Alltag erfolgreiche und handfeste Politik abzuliefern. Die SPD hat diese Notwendigkeit bislang noch überhaupt nicht begriffen. Machterhalt, „Weiter so!“, die Dinge auf sich zukommen lassen – dies ihr schwindsüchtiges Programm. Das allein auf dieses Credo getrimmte Liebeswerben der Sozis in Hamburg um die windige Statt Partei, eine politische Selbsterfahrungsgruppe der oberen 10.000, ist ein erneutes Beispiel dafür. Die Grünen brauchen diese Strategie der SPD nicht zu fürchten: Sie werden so auf Dauer nur stärker. Freilich: Selbst wenn die SPD noch umdenken würde, müßte Rot-Grün in Hamburg, Bonn und Berlin erheblich mehr leisten, als es in München, Hessen, Niedersachsen und anderswo bislang abgeliefert hat. Mit ein paar Tempo-30-Schildern und dem Zuschuß für eine Kindergarten-Ini ist der Umbau des bundesrepublikanischen Systems nicht zu schaffen. Florian Marten
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