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Hamburger Szene von petra schellenDer Taubenflüsterer

Ein fröhlicher Bettler, passt das denn ins Bild? Oder ist da was schief gelaufen, hat so einer nicht zerlumpt, zahnlos, krückstockbewehrt daherzukommen? Und so jämmerlich wie möglich dreinzuschauen?

Alles Klischees, auch hier ist die Realität so vielfältig wie überall sonst. Der Bettler vorm Bäcker im Hamburgs Norden sitzt fröhlich im Schneidersitz auf dem Boden, hält sein Bettelbecherchen hoch und grüßt verbindlich nach rechts, links, oben. Er freut sich, wenn Münzen klimpern und nimmt es stoisch hin, wenn nicht.

Ich sitze im Café der Bäckerei hinter der Glasscheibe und schaue. Gleichgültig verschwommen zuerst, klar und gefesselt zum Schluss. Denn nach zehneinhalb Minuten entknotet der 35-Jährige seine Beine, steht auf, geht in die Bäckerei. Kommt mit einem vom gesammelten Geld gekauften Brötchen wieder raus, setzt sich und beginnt zu pulen.

Genau, denke ich, das habe ich früher beim Frühstück auch gemacht, das Weiche ist am leckersten, das isst man zuerst. Aber der Bettler tut nichts dergleichen. Er pult für die Tauben: Eine, zwei, drei, 20, 100, die sind schnell. Schon ist der Bürgersteig Klein-Venedig geworden.

Der Mann füttert, die Tiere kommen und lieben ihn. Jedenfalls wirkt es so, und das genügt. Schließlich ist auch bei Katz und Hund nicht klar, ob sie uns nur schätzen, weil wir Futter geben. Aber wir reden uns ein, sie kämen wegen unserer brillanten Persönlichkeit, und das macht uns froh.

Den Bettler vorm Bäcker auch. Er geht ganz auf in seiner Tätigkeit, er vergisst sogar zu betteln und zu grüßen. Ja, jetzt kann er endlich mal der Großzügige sein, der (fast) selbstlos ist. Derjenige, der sich quasi Freundschaft erkauft, was bei Tauben so viel leichter scheint als bei Menschen. Erstmals kann der Arme Gutmensch sein, mit den Vögeln eine Gemeinschaft der Bodenbewohner bilden, Bodenständige aller Sphären, vereint euch.

Und wenn das Brötchen schließlich verfüttert ist? Dann werde ich schon gegangen sein. Aber ich möchte glauben, dass das den ganzen Tag so geht. Abends geht er dann heim zu Mama essen. Und erzählt von seinem großen Tag.

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