piwik no script img

Hamburger Szene von Petra SchellenWenn der Busfahrer entschleunigt

Entschleunigung ist eine feine Sache. Das sagt einem jedes Selbsterfahrungsbuch, jeder Coach, das steht in jedem Meditationsratgeber, das lehren sogar Jesus und Buddha. Und das gilt natürlich nicht nur für den Haushalts- und Büroalltag, sondern auch für den allseits beliebten Straßenverkehr. Obwohl man da zur Hamburger Rush-Hour kaum Gefahr läuft, zu schnell zu sein – egal, auf wie viel Rädern man unterwegs ist und ob motorisiert oder nicht.

Trotzdem hatte ich bis dato immer gedacht, mit dem Bus wäre ich – auch wenn es von der Holsten- bis zur Bernstorffstraße nur zwei Stationen sind – schneller als mit gebrochenem Zeh zu Fuß. Erleichtert steige ich also neulich in die Linie 3, zügig fährt der Chauffeur aus der Haltebucht, fädelt sich elegant in den Verkehr. Wir fahren glückliche fünf Sekunden, es fühlt sich an wie eine grüne Welle, wir sind gut im Flow.

Das Glück ist kurz: Auf einmal bremst der Fahrer scharf, öffnet die Tür, springt auf den Bürgersteig. Kurz bin ich geneigt, an einen Verblutenden oder sonst wie Verletzten zu denken, aber nichts dergleichen. Ein harmloser Radler mit abgesprungener Kette hat den Fahrer auf den Plan gerufen. Mit einem Satz springt er zur Hilfe, mit vereinter Kraft wuseln die beiden. Fünf Minuten vergehen, zehn.

Diese Super-Hilfsbereitschaft haben die Busfahrer wahrscheinlich in einer neuen HVV-Schulung über „Sensibilität für und Kooperation mit anderen Verkehrsteilnehmern“ gelernt. Wenn sie schon nichts gegen die gefährlichen Velo-Routen ausrichten können, sollen sie den Radlern wenigstens mal beim Reparieren helfen. Oder will unser Busfahrer etwa einen politisch interessanten Kontrapunkt zur umstrittenen Busbeschleunigung setzen? War der Radler gar ein Kumpel von ihm und das alles in Wahrheit hoch subversiv?

Ich weiß es nicht. Fakt ist nur, dass ich später schüchtern anmerke, dass ich jetzt zu spät zur Arbeit komme. Und dass ich daraufhin im Bus die Böse bin, während die anderen Fahrgäste anscheinend alle Zeit der Welt haben und ausgiebig den hilfsbereiten Fahrer lobpreisen. Vielleicht habe ich da wirklich etwas falsch verstanden, womöglich gar einen grundlegenden Paradigmenwechsel des HVVs verschlafen.

Dessen Fahrer sind jetzt nicht mehr – das war ja sowas von abgedroschen – dem eigenen Klientel verpflichtet, sprich: den Buspassagieren. Sondern allen anderen Verkehrsteilnehmern, also zum Beispiel den Radlern. Das ist so wie im Privatleben: Hebt der Mann seiner Ehefrau den Kinderwagen in den Bus, ist seine Tat durchschnittlich, weil selbstverständlich. Hilft er dagegen selbstlos einer Fremden, ertönt laut Applaus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen