Hamburger Kohlekraftwerk-Beschluss: Ökoverbände sauer auf Schwarz-Grün
Von Homorechten zur Ganztagsschule - die Grünen wollen der CDU enorme Zugeständnisse abgerungen haben. Aber nicht alle sind davon überzeugt.
Am Tag nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags geben sich die neuen Hamburger Regierungspartner betont zurückhaltend. Von einem "schwarz-grünen Projekt", das eine Vorbildfunktion für andere Bundesländer oder gar den Bund habe, wollen die CDU und die Grün-Alternative Liste (GAL) nichts hören. "Keinen Modellcharakter" habe die Vereinbarung, betont Bürgermeister Ole von Beust, und seine zukünftige Stellvertreterin Christa Goetsch ergänzt, die schwarz-grüne Koalition sei "auf Flächenländer nicht übertragbar".
Sechs Wochen lang hatten CDU und GAL um jeden Halbsatz des 64-seitigen Koalitionspapiers verhandelt. Besonders strittig waren dabei die Elbvertiefung, die Schulreform und der Bau des Kohlekraftwerks Moorburg. Aber gerade zu dem für die GAL immens wichtigen Thema Neubau eines Kohlekraftwerks findet sich in dem Papier nur die Minimal-Anmerkung, dass "die zuständige Behörde" über die Genehmigungsanträge entscheiden werde.
Die Formulierung, es sei der "politische Wille" der neuen Koalition, Moorburg nicht zu bauen, wurde nicht in den Vertrag aufgenommen, um dem Energiekonzern Vattenfall keine Handhabe für eine Klage zu liefern. Damit liegt die Verantwortung allein bei der zukünftigen Stadtentwicklungs- und Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL). Ihre Aufgabe ist es, die endgültige Baugenehmigung so gut begründet zu blockieren, dass Vattenfall nicht den geforderten Schadensersatz von rund 1,3 Milliarden Euro vor Gericht durchsetzen kann.
Da die Grünen auch der Elbvertiefung zugestimmt haben, gleichzeitig aber eine Fülle konkreter klimawirksamer Maßnahmen durchsetzen konnten, trifft der Koalitionsvertrag bei den Umweltverbänden auf ein geteiltes Echo. So sieht ein Greenpeace-Sprecher in der Moorburg-Vereinbarung ein "Armutszeugnis der Koalition", und die Umweltschutzorganisation Robin Wood nennt es gar eine "Bankrotterklärung der Politik", die Entscheidung Gerichten zu überlassen. Der BUND-Landeschef Manfred Braasch hingegen begrüßt "das politische Signal gegen das Kohlekraft", kritisiert aber die Elbvertiefung. Der Naturschutzbund bewertet den Koalitionsvertrag zwar als "Fortschritt für den Natur- und Klimaschutz", kritisiert aber, wie es Geschäftsführer Stephan Zirpel formuliert, dass die "Aussage zum Kohlekraftwerk Moorburg uneindeutig" sei. SPD und Gewerkschaften bemängeln vor allem, dass die "Bürgerkoalition" die "Chance zum sozialen Aufbruch vertan" habe. So beklagt der Hamburger Ver.di-Chef und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Wolfgang Rose, dass sich für "Arbeitnehmer, Erwerbslose und Studierende wenig gute Nachrichten im Koalitionstext" finden ließen.
Von derlei Kritik wollen sich die Grünen nicht beirren lassen. Die Verhandlungsführer sind vielmehr davon überzeugt, der CDU "erstaunliche Zugeständnisse in allen politischen Bereichen" abgerungen zu haben. Als größter Erfolg gilt ihnen die Einführung einer Primarschule, in der ab 2010 alle Kinder bis zum sechsten Schuljahr gemeinsam lernen sollen.
"Vieles, was uns die SPD vor zehn Jahren verweigert hat, ist jetzt mit der CDU möglich", sagt auch die grüne Bundestagsabgeordnete Krista Sager, die in den Neunzigerjahren Wissenschaftssenatorin war und nun wieder der Verhandlungsgruppe angehörte. Seinerzeit habe sich die SPD etwa dagegen gesperrt, am Rathaus eine Regenbogenfahne als Symbol für die in Hamburg eingeführte "Homoehe" zu hissen. Heute sei das anders: "Der Koalitionsvertrag legt fest, dass die Flagge am CSD gehisst werden kann - und alle finden das normal." Viele grüne Positionen seien inzwischen gerade in Großstädten "hegemonial" geworden. Doch es spreche für von Beust, aus der versteinerten Union der Neunzigerjahre eine "Metropolenpartei" gemacht zu haben.
Zumindest die Vereinbarung über Schwule und Lesben scheint sie zu bestätigen: So haben die Koalitionspartner beschlossen, dass die "Hinterbliebenenversorgung und Beihilfe für homosexuelle Partnerinnen und Partner den Regeln bei Ehepartnern gleichgestellt" werden - ein bemerkenswerter Beschluss für eine konservative Partei, der immerhin einen Vorteil bietet: Er kostet nichts. Anders die meisten vereinbarten Reformen.
Allein die Senkung der Klassengröße in den Primarschulen auf 25 Schüler, der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle Zweijährigen sowie weitere Bildungsreformen werden nach Schätzungen von Finanzsenator Michael Freytag (CDU) einen "dreistelligen Millionenbetrag" verschlingen. Insgesamt werden die schwarz-grünen Zusatzprojekte nach Informationen der taz rund 700 Millionen Euro kosten. Da CDU und GAL keine weiteren Schulden machen wollen, klafft ein Milliardenloch in der Haushaltsplanung. Darüber, wie diese Lücke geschlossen werden soll, geben die Verhandlungsführer auch auf Nachfrage keine Antwort. Zu wessen Lasten die "Umverteilung der Finanzmittel" gehen wird, soll erst in einem Jahr feststehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs