Hamburg-Debüt des türkischen Pianisten Fazil Say : Das Quietschen des Hockers
Für Atatürk war das Projekt, Bachs Musik auch im hintersten Winkel von Anatolien zu verbreiten, Teil der Staatsraison. Sein Nachfolger, Ismet Inönü, trieb die Treue zu diesem Programm so weit, dass er das Cello-Spiel erlernte, um im Rundfunk aufzutreten. Wenn der bekannteste Pianist der Türkei, Fazil Say, heute also nicht nur auf internationalen Konzertpodien zu finden ist, sondern in den Tourneepausen seine Landsleute in Malatya oder Diyabakir mit Suiten und Sonaten konfrontiert, optiert er damit für eine Türkei, die ganz nach Europa gehört.
In Says Familie hat solches Tun Tradition: Großvater Fazil Say war nach Deutschland gepilgert, um sich bei Liebknecht im Klassenkampf unterweisen zu lassen. Sein Sohn Ahmet studierte bei Adorno und wurde in seiner Heimat als Schriftsteller und Verleger bekannt. Fazil Say junior schließlich nahm Klavierunterricht in Düsseldorf und Berlin und schaffte seinen Durchbruch aufs internationale Parkett dank einer Einladung von Kurt Masur zum New York Philharmonic Orchestra.
Nun kommt Fazil Say zu seinem Hamburg-Debüt in die Musikhalle. Dass er sich bei aller Liebe zur europäischen Konzertmusik nicht in alle ihre Gepflogenheiten zwängen lässt, macht Say allerdings mehr als deutlich. Vom unorthodoxen, chronisch verkatert wirkenden Auftreten – und einem Klavierhocker, der bei der exaltierten Spielweise mitunter mehr Töne von sich gibt als der Flügel – einmal abgesehen hat Say auch eine wahre Ochsentour aufs Programm gesetzt. In seiner „langen Nacht“ verbindet er Solostücke von Mozart bis Busoni mit Violinsonaten von Brahms und Say, ein Computerflügel-Arrangement von Strawinskys Sacre du Printemps und Kompositionen des Weltmusikers Say. Ilja Stephan
Freitag, 20 Uhr, Musikhalle