: Hacker sind wir alle
Mit dem Computer-Virus „Sasser“ hat ein 18-Jähriger globale Systeme lahm gelegt. Böse Absicht kann ihm aber keiner vorwerfen. Schuld hat die Softwarebranche, die Sicherheitslücken nicht schließt
VON NIKOLAUS HABLÜTZEL
Ein 18 Jahre alter Junge aus einem friedlichen Dorf in der tiefsten niedersächsischen Provinz, plain old germany, Lichtjahre von jedem Sillicon-Valley entfernt, lehrt die schöne neue Welt der Informationstechnik das Grausen. Wenn das mal keine Nachricht ist. Er hat gestanden und ist seit Samstag wieder zu Hause bei seinen Eltern. Ein Reporter der Agentur Reuters wollte gleich darauf mit ihm reden, wenigstens mit den Eltern. Er kam nur bis zum Gartentor. Dort stand „ein Mann“, meldet die Agentur, der sagte: „Die Rechte sind schon vergeben, tschüss.“
Das ist die Wirklichkeit der Informationsgesellschaft. Über die Ansichten des jungen Mannes wissen wir so lange nichts, bis das Magazin auf dem Markt ist, das diese ganz ohne spezielle Techniken zugängliche, mögliche Information gekauft hat.
Tatsächlich muss man die individuellen Beweggründe des Jungen aus Waffensen nicht unbedingt kennen, um zu wissen, was er getan hat, und insofern auch, wer er ist. Er schrieb, sagt inzwischen die Polizei, 31 Programme für Computerviren. Sein größter Hit „Sasser“ hat global und systemübergreifend Großorganisationen lahm gelegt, zum Beispiel die Post von Taiwan und die amerikanische Airline Delta. Das reicht für einen dauerhaften Spitzenplatz in der Ruhmeshalle der Hacker.
Was ist ein Hacker? Der viel zu früh verstorbene Wau Holland, Gründer des Chaos Computer Clubs, hat den Begriff unübertrefflich klar und allgemein verständlich definiert: „Ein Hacker ist ein Mensch, der mit seiner Kaffeemaschine auch eine Suppe kochen kann.“ Mehr ist nicht nötig, um den Jungen aus Waffensen zu verstehen. Genau das hat er getan, Suppe gekocht mit der Kaffeemaschine. Nur dass die Kaffeemaschine sein PC mit Internetanschluss war und die Suppe ein Programm, das dort nicht vorgesehen ist, aber natürlich genau so gut oder schlecht läuft wie jedes andere auch.
Die Frage, warum er das getan habe, ist ebenso leicht zu beantworten. Es ist ziemlich einfach und macht Spaß. Jungs sind nun mal so, und alle Männer sind Jungs. Längst steht fest, denn es ist empirisch untersucht worden, dass Mädchen hoch abstrakte Konstruktionen spontan viel besser verstehen und schneller zur praktischen Anwendung kommen. Damit sind sie aber auch zufrieden. Jungs dagegen sind überhaupt nicht an praktischen Lösungen interessiert. Sie wollen nur spielen. Sie neigen deshalb dazu, all das, was sie mit Mühe halbwegs verstanden haben, erst einmal so kompliziert wie möglich zu machen, damit sie länger damit spielen können.
Das Ergebnis ist die Softwareindustrie, die wir heute kennen. Sie hat sich mit Toll-Collect und dem virtuellen Arbeitsmarkt nachhaltig in Erinnerung gebracht. Aber auch Sasser geht auf ihr Konto. Fachwissenschaftliche Papiere über die prinzipiellen Gefahren, die von Programmen des Typs „Sasser“ ausgehen, füllen hunderte von Regalmetern. Aber kein einziger der hoch bezahlten Industrie-Softwareentwickler hat auch nur einen Vorschlag vorgelegt, der an der Ursache des Problems ansetzt.
Obwohl diese gut bekannt ist: Ein Informationssystem ist nur dann sicher, wenn der Inhalt einer Information grundsätzlich und jederzeit von den Methoden seiner Verarbeitung getrennt ist. Denn in einem Netzwerk, dessen Hauptvorzug seine prinzipielle Offenheit ist, dürfen die Teile, die der Darstellung der Nachricht für den Empfänger dienen, nicht ebenfalls offen zugänglich und damit manipulierbar sein. Sonst könnte niemand wissen, ob er jeweils die Nachricht liest, die tatsächlich abgesandt worden ist.
Nicht nur Microsoft, sondern die gesamte Softwarebranche verstößt ständig und massiv gegen diesen Grundsatz. Man schaue sich den Quellcode einer beliebigen Website oder HTML-Mail an: Höchstens zehn Prozent sind Inhalt, der Rest ist ausführbarer Code, von dem nie prinzipiell auszuschließen ist, dass er auch bösartig sein kann. Das wäre so, als wenn wir mit jeder Packung Kaffee auch noch die Heizschlange und den Thermostaten für die Kaffeemaschine kaufen müssten. Dass eine solche technische Konfiguration in die Luft fliegt, wenn man sie mit den falschen Zutaten füttert, verwundert nicht, ebenso wenig wie die Tatsache, dass ein durchschnittlich begabter, spielender Junge aus einem Provinzdorf es schafft, ganze Konzerne stillzulegen.
Er hat es nicht böse gemeint, selbstverständlich nicht, und ein wenig Hacker sind wir alle. Sensationell ist daran gar nichts. Vielmehr daran, dass es den Softwareklempnern großer Weltkonzerne noch immer gelingt, den Aberglauben zu verbreiten, sie selbst seien auch nur einen Schritt weitergekommen als der Junge aus Waffensen.