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Archiv-Artikel

HORST KÖHLERS WAHL ZUM BUNDESPRÄSIDENTEN BEDROHT ROT-GRÜN Wachwechsel in den Köpfen

Ein Machtwechsel sieht anders aus. Trotzdem machen es sich rot-grüne Politiker mit ihrer Interpretation der Bundespräsidentenwahl zu einfach. Sie behaupteten gestern unisono, keinesfalls sei der Triumph des Merkel-Manns Köhler ein Vorbote auf einen Regierungswechsel 2006. Doch Horst Köhler hat das Zeug, das Fundament zu untergraben, das Rot-Grün bei der letzten Bundestagswahl zum Sieg verholfen hat: die kulturelle Mehrheit.

Was braucht Merkel zum Sieg 2006? Im Jahre 2002 scheiterte die Union unter Stoiber an ihrem Ruf als technokratische Altherrentruppe. Rot-Grün stilisierte Schröder und Fischer zum Ausdruck des Zeitgeists. Wenn Horst Köhler nun der Jobbeschreibung eines Präsidenten gerecht werden will, so wird er das gesellschaftliche Lagerdenken durchbrechen müssen. Gestern unternahm er den Versuch an manchen Stellen seiner Rede.

Zwar bedachte er die eigene Klientel mit dem Slogan Kraft der Freiheit (danke, Ihr FDP-Wahlleute!) und dem Bekenntnis zur Vaterlandsliebe (bitteschön, Roland Koch!). Vor allem aber übernahm er von Amtsvorgänger Rau das Versprechen, auch Präsident der Ausländer zu sein; für Globalisierungsskeptiker hielt er Kritik an den Industrieländern bereit und für die Frauen das Versprechen auf eine gerechtere Verteilung der Familienlasten. Das macht ihn nicht zu einem rot-grünen Präsidenten, aber es zeigt den Wechselwählern: Es gibt eine CDU/CSU mit menschlichem Antlitz. Ein Köhler allein macht keinen Machtwechsel aus, läutet aber einen Wachwechsel in den Köpfen ein.

Wann sind Bundespräsidentenwahlen politisch relevant? Wenn sie eine gesellschaftliche Stimmung zum Ausdruck bringen – wie im berühmten Fall von 1969, als die Wahl des Sozialdemokraten Heinemann das nahende Ende der Großen Koalition signalisierte. Auch dieses Kriterium trifft heute zu: Die Kür eines Christdemokraten spiegelt die Abkehr der bundesrepublikanischen Gesellschaft von der linken Mitte wider. Wenn der Bundespräsident seinen Job schlecht macht, wird er der Staatsdiener biederen Zuschnitts bleiben, als der er ins Amt gewählt wurde. Wenn jedoch Horst Köhler ein guter Präsident wird, werden die Zeiten noch schlechter für Rot-Grün. PATRIK SCHWARZ