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■ H.G. HolleinAltpapier

Die Frau, mit der ich lebe, redet derzeit nicht mit mir. Die Gefährtin fand nämlich unlängst ein paar Notizen unter meinem Keyboard. „Die Frau, mit der ich jetzt zusammen bin“, stand da, „ist in kurzer Zeit so fügsam geworden wie eine zahme Taube.“ Das hielt mir die Gefährtin immerhin noch mit einer Art verhaltener Irritiertheit vor. Schon eher ins Eisige spielte die Reaktion auf die folgenden Zeilen: „Daß sie nicht mehr schön ist, nicht mehr jung, nicht mehr albern, nicht mehr kokett, sind gerade die Dinge, die bewirken, daß ich etwas mit ihr anfangen kann.“ Dazu wollte allerdings Notat Nummer drei nicht so recht passen: „Ich bedaure es manchmal, daß die Frau, mit der ich lebe, Bücher ebensowenig verstehen kann wie Kunst. Wenn ich die Kunst nicht im Wirklichen suchte, würde ich die Frau wahrscheinlich dumm finden oder so; nun hätte ich es zwar lieber anders, aber ich bin doch zufrieden, wie es ist.“ Das vermochte die Gefährtin mitnichten zu versöhnen, ebensowenig wie das – zugegeben leicht pauschalisierende – Diktum, „Rückschritt“ liege „nun mal in der Natur des Weiblichen“, oder die Aufzählung von „ein paar Eigentümlichkeiten“. Und zwar „erstens ihre Sprache, die häßlich ist“, dann „ihre Launen, die für manche unerträglich wären“. Vielleicht störte sich die Gefährtin aber auch an der Bemerkung, daß „sie zwar lernt, man ihr aber immer wieder dasselbe zeigen muß, und sie einen schon mutlos machen kann“, und daß – „wenn ich die Frau verließe, sie vielleicht verrückt würde“. Da half dann auch die letzte Notiz nichts mehr, die da lautete: „Nun ich das wieder gesehen habe, halte ich den Mund über ihre Fehler.“ Daß es sich bei dieser Zitatensammlung lediglich um ein paar willkürlich herausgegriffene Satzfetzen aus den Briefen Vincent van Goghs an seinen Bruder Theo handelt, in denen er seine Frau Christien verbal zu würdigen versucht, konnte ich der Gefährtin bisher leider nicht recht glaubhaft machen.

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