■ H.G. Hollein: Neue Ordnung
Die Frau, mit der ich lebe, will aufräumen. Und zwar gründlich. Dagegen ist an sich nichts zu sagen, nur weiß ich aufgrund früherer Anfälle derartiger Ordnungswut, dass damit überaus missliche Interferenzen der Alltagsroutine in unserem Nestchen verbunden sind. So finde ich es weder wünschenswert noch einsehbar, dass sich beim allmorgendlichen schlaftrunkenen Griff zur Kaffeebüchse die Hand um ein ähnlich konisches Gefäß voller Kakaopulver schließen soll, nur weil die Gefährtin findet, dass die Dinge nach ihrer Größe geordnet gehören und nicht nach der Häufigkeit ihrer Benutzung. Als geradezu tückisch empfinde ich die Konsequenzen innerhäuslicher Reorganisation, wenn im Bad der Zahncremespender seinen historisch gewachsenen Standort mit dem Haargel der Gefährtin tauschen musste. Das kann bei einer Dioptrienzahl von Minus Sechs schon mal zu überraschenden Geschmackserlebnissen führen. Die Gefährtin rechtfertigt sich angesichts derartiger Fehlgriffe mit einem nonchalant dahingeworfenen „Du verstehst eben nichts von modernem Ambiente, Schatz“. Wovon ich notgedrungen sehr wohl etwas verstehe, ist das Ermitteln von Aufenthaltsorten solch unentbehrlicher Gegenstände, wie es zum Beispiel Schuhe nun einmal zu sein pflegen. Zweifellos sieht der Flur aufgeräumter aus, wenn meine Galoschen nicht getreulich neben der Tür auf ihren Träger warten, aber in der morgendlichen Aufbruchseile mit ausgerenktem Arm unter dem Bett zu angeln gehört irgendwie nicht zu meinen Vorstellungen von einem gelungen Start in den Tag. Zumal ich finde, dass die Gefährtin ihre Prioritäten alles andere als angemessen setzt. Wühlt sie doch mit schier unerschöpflicher Geduld in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel, derweil ich mit einer Mineralwasserkiste an dem einen und einer Colakiste an dem anderen Arm hinter ihr vor der Haustür stehe. Immerhin lässt mir die Gefährtin zwischendurch immer mal wieder Trost zuteil werden: „Er muss hier irgendwo sein.“
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