■ H.G. Hollein: Mittelalt
Die Frau, mit der ich lebe, wähnt mich auf eine Krise zusteuern. Auf die des männlichen midlifes, um genau zu sein. Die äußeren Anzeichen sind in der Tat gegeben. Die Kahlheit auf der Kalotte schreitet munter fort, die Wangenmuskeln zeigen erste Erschlaffungstendenzen, und über dem Kleingedruckten muss Vati immer häufiger die Brille abnehmen. Uneingedenk dieser unschönen Verfallserscheinungen unterstellt mir die Gefährtin latente Gelüste nach neuen Ufern. Schließlich haben schon der Kanzler, der Außenminister und Uli Wickert bei Erreichen obiger Lebensphase den Gefährtinnenwechsel paradigmatisch vorgelebt. Jedenfalls sind bei meiner Gefährtin in letzter Zeit einige signifikante Änderungen im Verhalten zu beobachten. So liegen auf einmal Kleidungsstücke nicht mehr wie vom Sturm zerstreut in der Wohnung herum, sondern werden sorgfältig gefaltet und in den Schrank geräumt. Auch habe ich die Gefährtin schon mehrfach – wenn auch mit zögernden Händen – höchstselbst Hand an den Abwasch legen sehen. Andererseits werde ich nach Telefonaten inquisitorisch genötigt, die Identität der Anrufenden preiszugeben und – weiblichenfalls – plausibel zu begründen. Desgleichen werde ich nach ungebührlich langen Einkaufsgängen drängenden Verhören unterzogen, die regelmäßig mit einem skeptischen „Ach?“ ausklingen. Und wenn ich's recht bedenke, sind meine Kontakte zu weiblichen Wesen seit geraumer Zeit auf ein überaus unterdurchschnittliches Niveau abgesunken. Ist die Gefährtin am Ende hinter meinem Rücken zum planmäßigen Wegbeißen potentieller Konkurrentinnen übergegangen? Vielleicht sollte ich ihr offensiver als bisher vermitteln, dass meine Träume mitnichten von einer 25jährigen, eins-achtzig-großen blonden Geschirrspülmaschine beherrscht werden. Allerdings müsste ich mich dann um den Haushalt wohl wieder allein kümmern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen