■ H.G. Hollein: Eruptionen
Die Frau, mit der ich lebe, ist emotional von eher vulkanischem Zuschnitt. Wenn sie unter der Dusche steht, muss ich an unserem Durchlauferhitzer in der Küche nur das heiße Wasser aufdrehen, und schon höre ich von jenseits der Wand der Gefährtin erbittertes Toben. Wenn sie dann dampfend und stampfend zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen naht, hilft nur noch, sie durch das Angebot einer morgendlichen Kopfmassage wieder in jenes wohlig schnurrende Wesen, das ihr wahres ist, zurückzuverwandeln. Das klappt immer. Außer man probiert am Schopf der Gefährtin ein neues „Hair Tonic“ aus, das von unserer Frisörin nachdrücklich empfohlen wurde. Es entspannte in der Tat, wenn auch nur, bis die in der Tinktur enthaltenen Duftstoffe das fein witternde Näschen der Zielperson erreichten. „Das riecht ja wie in einem türkischen Puff!“ krisch die Gefährtin. Ich wollte zunächst meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, wo sie denn wohl diesbezügliche olfaktorische Vergleichswerte gesammelt habe, sah aber in Anbetracht des unter meinen sanft kreisenden Fingern fühlbar anschwellenden Zorneskamms von der Eröffnung dieser wenig aussichtsreichen Entlastungsoffensive ab. Mein in sonorem Ton mantraartig vorgetragenes „Das gibt sich, Schatz, in ein paar Stunden ist das verflogen, sprühst du eben etwas mehr Eau de Toilette auf“ war schon eher geeignet, die Wutwelle mählich wieder abebben zu lassen. Nur hätte ich vielleicht für mich behalten sollen, dass bei den graueren Partien im cranialen Bewuchs der Gefährtin ein rasanter Übergang zu einem leichenhaft-grünspanigen Farbton zu beobachten war. Da zeigte sich, dass die Temperamentskala der edlen Dulderin nach oben doch sehr weit offen ist. Seitdem bin ich um die Gestaltung meiner Freizeit nicht verlegen. Ich bringe Gabe um Gabe der Besänftigung bei. Nach einem Seidennachthemd und schokoladeglasierten Erdbeeren an Champagner habe ich sogar schon das eine oder andere versöhnliche Brummen aus der Peilung der Gefährtin vernommen.
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