■ H.G. Hollein: Offenes Haus
Der Frau, mit der ich lebe, gebricht es an hochstaplerischer Energie. Leider. Als wir unlängst in den Tiefen der holländischen Provinz nach einem Hotel suchten, erwies sich das einzige Haus am Ort als ausgewachsenes Kongress- und Tagungszentrum. Gestrandete Touristenpärchen waren in dieser Welt offenbar nicht vorgesehen, wollte man uns am Empfang doch ohne viel Federlesens im Rahmen einer für diesen Tag angemeldeten „Flying Dutchman“-Delegation einquartieren. Das wäre eine billige Nacht geworden, zumal uns in den labyrinthischen Gängen des „Sonnenhügels“ so schnell niemand wiedergefunden hätte. Auch den Aperitif an der Bar – „Von welcher Gruppe?“ – hätten wir getrost auf die Rechnung der „Fliegenden Holländer“ setzen können. Natürlich wäre es ratsam gewesen, einen gewissen Abstand von den echten Kongress- und Tagungsteilnehmern zu halten, doch dafür gab es ja die diversen Hinweistafeln, mit denen die geschäftigen Rudel aus „Gasprom-“, „Phillips-“ und sonstigen Mitarbeitern von „Lounge“ zu „Center“ zu „Projection Room“ hin- und hergelenkt wurden. Saßen die Herren von Gasprom noch in ihrem Center, wartete ihr Kuchenbuffet in der Cafeteria auf den beiläufigen Zugriff, kamen sie alsdann in die Cafeteria, empfahlen sich ein paar Schnittchen am Empfangsstand für die Phillips-Leute im Foyer, die derzeit gerade ihre Zimmer suchten. Auch beim Abendessen hätten wir mit Verweis auf die noch abwesende Gruppe einen erklecklichen Betrag sparen können – als Chef wird man sich mit seiner Privatsekretärin ja wohl noch ein wenig vom Fußvolk absetzen dürfen. Und bei der Abreise am nächsten Morgen hätte es vollauf genügt, den Zimmerschlüssel nonchalant in die dafür vorgesehene Box zu werfen und dynamischen Schrittes das Weite zu suchen, schließlich hatten die Firmen die komplette Versorgung ihrer Mitarbeiter als Paket gebucht. Der Wunsch nach einer Einzelabrechnung in bar war dann in der Tat auch nur schwer zu vermitteln. Aber die Gefährtin musste ja unbedingt ehrlich bleiben wollen.
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