■ H.G. Hollein: Ritters Sporn
Die Frau, mit der ich lebe, hat einen Hang zum Romantischen. Eher einen Abhang, wie ich finde. Wie dem auch sei, die Gefährtin fühlt sich im alltäglichen Miteinander meinerseits nicht minniglich genug angemutet. Vielleicht liegt es ja daran, dass die Gefährtin, wenn sie mich an ihren freien Tagen in ihr Wohnbett verstreut aus der harten Arbeitswelt zurückerwartet, auf den ersten Blick nicht unbedingt an ein züchtiges Burgfräulein in seinem kuscheligen Kemenätchen erinnert. Allein, den leidvollen Vorwurf, ich böte ihr weder Land noch Lehen, kann ich dank einiger frisch erworbener heimatkundlicher Erkenntnisse nunmehr zumindest partiell zurückweisen. Immerhin biete ich ihr Unterkunft auf ritterlichem Grund. Trabte doch vor gerade mal acht Jahrhunderten ein rüstiger Rittersmann namens Otto von Bahren über jene Felder, auf deren urbane Folgeareale heute die Gefährtin ihren zarten Fuß setzt, und da, wo Otto „sin husen“ hatte und – etwas vornehmer be-namst – als Otho seine Marschen inspizierte, flaniert die Gefährtin nunmehr durch das vormalige Ottenhusen und das nomenklatorisch immer noch nicht weiterentwickelte Othmarschen. Zugegeben, allzu höfisch geht's dortselbst nicht mehr zu, und statt einer Zugbrücke heißt's, mit der Gegensprechanlage vorlieb zu nehmen. Andererseits harrt die Gefährtin ihres wackren Streiters ja auch nicht mehr hold errötend an der Harfe zupfend, sondern zetert wenig ziemlich, wenn ich mal wieder vergessen habe, dass gestern Abend das letzte Bier durch den hoheitsvollen Schlund gegurgelt ist. Aber was soll's: Dann muss der Recke eben nochmal raus zur Tanke. „Wenn du mich liebst ...“ Getreu dieser Maßgabe ist wohl dermalen auch Ritter Otto ins Turnier gezogen, um unter Davontragung diverser Beulen und Blessuren die Dame seines Herzens zu befrieden, wenn nicht gar zu befriedigen. Der Gedanke hat irgendwie was Versöhnliches. „Je mehr sich etwas ändert, desto gleicher wird es sich am Ende“, wie die Franzosen sagen. Und wer weiß, vielleicht war das ja schon Ottos inoffizielles Motto.
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