HEXENMEISTER : Offene Rechnung
Auf gar keinen Fall komm ich da mit. Irgendwelche Freunde haben Kinder, und es wäre doch schön, wenn wir alle zusammen diese Zaubervorstellung besuchen würden, wird gesagt. Ich widerspreche. Ich finde Zauberkünstler an sich ziemlich unspannend. Auch wenn man die vorgeführten Tricks nicht versteht, so weiß man doch immer, dass das ja alles nur billiger Budenzauber ist. So trostlos ist das Leben eben, wenn man einen Hang zum Nihilismus hat.
„Ich glaube an gar nichts, Lebowski.“ Sage ich, aber sie versteht nicht. Die deutschen Nihilisten, die mit ihrem Frettchen durch „The Big Lebowski“ geistern und dem Titelheld nachstellen, scheint sie nicht zu kennen. „Na gut, dann gehen wir eben ohne dich zu Igor Jedlin.“ Ich bin augenblicklich wach. Igor Jedlin? Da war doch was? In der guten alten Zeit, als in den Schautafeln der BVG diese immer gleichen, pissgelben, verblassten Aushänge irgendein Piano-Wunderkind mit dem Blick eines Triebtäters ankündigten, da hing auch jener Igor Jedlin dort. Mit einer Taube in der Hand, aber – verzeihen Sie mir – keinem Spatz auf dem Dach, präsentierte er sich und war damit für mich der Inbegriff des Zauberers.
Eines Tages war es dann soweit, am Wandertag ging die ganze Klasse in die Vorstellung des russischen Magiers, und ich saß aufgeregt in der ersten Reihe. Und tatsächlich wurde ich dann auch auf die Bühne geholt. Ich durfte assistieren, und der Hexenmeister führte einen Trick mit einer überdimensionalen, zweifarbigen Münze vor. Ich erinnere mich nicht mehr so genau an die Details, aber ich weiß noch, dass man den Trick vordergründig durchschaute, um dann jedoch grandios vorgeführt zu werden. Die Klasse lachte. Und ich war natürlich beschämt. Noch während mir all das durch den Kopf ging, zog ich die Schuhe an und lief zur Tür. Igor, wir haben noch eine Rechnung offen!JURI STERNBURG